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2023 | Buch

Renaissance der Verkehrspolitik

Politik- und mobilitätswissenschaftliche Perspektiven

herausgegeben von: Detlef Sack, Holger Straßheim, Karsten Zimmermann

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Über dieses Buch

Der Band versammelt mobilitäts- und politikwissenschaftliche Beiträge zu verkehrspolitischen Entscheidungen und Richtungswechseln auf verschiedenen Ebenen (Bund, Land, Kommune) und zu verschiedenen Verkehrsträgern bzw. Sektoren (Schiene, Auto). Die Autoren und Autorinnen argumentieren dabei überwiegend empirisch und nutzen unterschiedliche Methoden und Ansätze. Gemeinsam sind den Beiträgen der erklärende Fokus auf mögliche Blockaden der Verkehrswende und neue Perspektiven in der Verkehrs- und Mobilitätspolitik.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Policy-Forschung und Mobilitätswissenschaft. Begegnungen
Zusammenfassung
Der Beitrag führt in den Sammelband ein, dessen Zweck es ist, Policy-Forschung und Mobilitätswissenschaft in die Diskussion zu bringen. Nach einer Skizze wesentlicher Eigenschaften des Politikfeldes Verkehr werden die Fragestellungen des Bandes vorgestellt. Die generelle Zielsetzung der mobilitätswissenschaftlichen Forschung wird ebenso präsentiert wie die der Policy-Analyse im Feld des Verkehrs. In die Beiträge des Sammelbandes wird eingeführt. Der Sammelband stellt nicht nur aktuelle Forschung zu Mobilität und Verkehrspolitik in Deutschland vor. In der Begegnung von Mobilitätswissenschaft und Policy-Analyse werden drei Fragen adressiert: Wie können verkehrspolitische Entscheidungen erklärt werden? Welchen Problemlösungsbeitrag liefern Mobilitätswissenschaft und Policy-Forschung? Welche wechselseitige Befruchtung ist zwischen beiden Forschungszweigen zu sehen?
Detlef Sack, Holger Straßheim, Karsten Zimmermann
Politische Steuerung von Infrastrukturpolitik. Die Rolle des Bundestages beim Bau von Schienenwegen
Zusammenfassung
Politische Entscheider haben es schwer, Infrastrukturpolitik steuernd zu gestalten. Dies liegt an der hohen Komplexität des Politikfeldes, den dem Feld innewohnenden Zielkonflikten sowie der Vielzahl der involvierten Akteure. Wir bilden diese Probleme anhand des Prinzipal-Agenten-Ansatzes ab und verdeutlichen sie am Beispiel des Schienenwegeausbaus. Daran anknüpfend beleuchten wir mit der Parlamentarischen Befassung mit Eisenbahnprojekten ein neues Entscheidungsverfahren in diesem Bereich: Seit 2018 hat der Bundestag die Möglichkeit, sogenannten übergesetzlichen Forderungen von Kommunen und anderen Betroffenen durch die Zusage von Haushaltsmitteln nachzukommen. Die Auswertung der fünf bisher erfolgten Projektbefassungen ergibt erstens, dass das Parlament den Forderungen zum Teil umfassend, aber nicht stets nachkommt. Diese Variation lässt sich zweitens dadurch erklären, dass insbesondere Forderungen aus umfangreichen Beteiligungsformaten wie Dialogforen übernommen werden. In der Gesamtbetrachtung lässt sich drittens festhalten, dass der Bundestag die Steuerungsprobleme der Infrastrukturpolitik durch die parlamentarische Befassung abmildern kann.
Felix Julian Koch, Jenny Rademann, Simon Fink
Tempolimit, Bußgelder und Verkehrswende: Parteipolitik und Blockademacht im Bundesrat
Zusammenfassung
Die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) und der Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV) stehen im Mittelpunkt des politischen Konflikts um die Verkehrswende. Die StVO legt die Rechte und Pflichten verschiedener Verkehrsteilnehmer:innen fest, der Bußgeldkatalog bestimmt die Sanktionen für Regelverletzungen. Während insbesondere die Grünen hier zulasten des motorisierten Individualverkehrs und zugunsten von Fahrrad- und Fußverkehr umverteilen möchten, neigen andere Parteien, vor allem CDU, CSU und FDP, dem verkehrspolitischen Status Quo zu. Im Zusammenhang mit der kulturellen Aufladung der Verkehrswende und der wachsenden Polarisierung zwischen Anhänger:innen verschiedener Mobilitätskonzepte ist die Verkehrspolitik in Deutschland inzwischen ein zentrales Thema in der politischen Debatte und in Wahlkämpfen. Der Beitrag beleuchtet diese politischen Konflikte um die Verkehrswende, ihre Austragung und vorläufige Beilegung in den Arenen des Föderalismus. Der Fokus liegt dabei auf der Behandlung verkehrspolitischer Novellierungen im Bundesrat: die sogenannte „Fahrradnovelle“ zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften im Februar 2020, ihren Reparaturversuch im September 2020 und die politische Einigung im April 2021. Mithilfe eines process-tracing-Ansatzes zeichnen wir nach, wie sich strategische Parteiinteressen in der Ausschuss- und Plenumsphase des Bundesrates artikulierten und die zentralen Entscheidungen prägten. Unsere Analyse zeigt, dass die Vorgänge für die Politik im Bundesstaat prototypisch sind: Parteipolitische Präferenzen prägen maßgeblich die Funktionsweise des Bundesrates und die Proliferation von Vetomacht zwingt zur Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner.
Antonios Souris, Christian Stecker, Arne Jungjohann
Wer Bürokratie sät, wird Probleme ernten. Die Verkehrswende im Lichte der öffentlichen Finanzkontrolle
Zusammenfassung
Die Bereitstellung öffentlicher Verkehrsinfrastrukturen gestaltet sich in Deutschland in vielerlei Hinsicht als defizitär. Planung, Errichtung, Finanzierung und Betrieb entsprechender Einrichtungen kämpfen mit zahlreichen Herausforderungen wie zeitlichen Verzögerungen und nennenswerten Kostensteigerungen. Derartige Zielabweichungen treten indes nicht nur bei Großprojekten wie Stuttgart 21, Berlin Brandenburg International oder der Leverkusener Autobahnbrücke (A 1) auf, sondern nahezu jede Umgehungsstraße und kommunale Brücke sind hiervon betroffen. Diese investitionswirtschaftlichen Probleme weisen auf politische, institutionelle und verfahrensseitige Steuerungsdefizite hin, die der vorliegende Beitrag aus Sicht der öffentlichen Finanzkontrolle beleuchtet. Durch eine systematische Auswertung von Jahresberichten unterschiedlicher Rechnungshöfe sollen funktionale, technische, rechtliche, ökonomische, städtebauliche und nicht zuletzt gestalterische Schwachstellen herausarbeiten werden. Diese Rechnungshofberichte von 2006 bis 2020 dienen ebenfalls dazu, bislang weder systematisierte denn empirisch evaluierte Lerneffekte der deutschen Bauverwaltung herauszuarbeiten. Durch eine Auswertung der Stellungnahmen der angemahnten Behörden lässt sich ermitteln, wie bauausführende Stellen auf die Anmahnungen reagieren und welche konzeptionellen, institutionellen und personellen Konsequenzen diese für kommende Vorhaben ziehen wollen. Hieraus leiten sich Erkenntnisse ab, inwieweit die bestehenden institutionellen Rahmenbedingungen die infrastrukturelle Umsetzung der Verkehrswende behindern.
Thorsten Winkelmann, Julia Zimmermann
Institutioneller Wandel ohne Politikwandel. Die Reform der deutschen Autobahnverwaltung (2017–2021)
Zusammenfassung
In einer Prozessanalyse wird die Reform der Autobahnverwaltung des Bundes seit 2017 untersucht, die mit einer Grundgesetzänderung und dem Aufbau des Fernstraßenbundesamtes und der Autobahngesellschaft einhergeht. Dabei interessiert, warum es zu diesem institutionellen Wandel gekommen ist und welche Effekte für die Verkehrspolitik identifiziert werden können. Konzeptionell geht die Untersuchung von der Bedeutung institutionellen Wandels für die Transition sozio-technischer Regime aus. Festzustellen ist die Kompetenzverlagerung auf den Bund (Displacement), die einem Tausch im Rahmen der Einigung auf die Föderalismusreform 2017 folgt. Auch können Organisationsprivatisierung und funktionale Privatisierung identifiziert werden, die jedoch aufgrund starker Veto-Spieler nicht umfassend umgesetzt werden (Layering). Die Reform führt zu keiner grundlegenden Substitution der Akteure oder zu einer Transformation des verkehrspolitischen Leitbildes. Erwartbar sind Politikveränderungen im Sinne der instrumentellen Anpassung an Bedarfe im Bundesfernstraßen und einer Offenheit für die (ehemalige) Nische der Elektrifizierung der Mobilität. Es zeigt sich aber keine Veränderung im mobilitätspolitischen Leitbild. Damit handelt es sich bei der Reform der Autobahnverwaltung um „Polity-Politics“ ohne Politikwandel.
Detlef Sack
Programmatisches Handeln in der deutschen Verkehrspolitik. Gemeinsame Identitäten von Akteuren im Umfeld des Deutschlandtakts
Zusammenfassung
Die bisher unzureichende Verlagerung von Personen- und Güterverkehr auf die Schiene in Deutschland führt zu zentralen Herausforderungen bei der Erreichung der Klimaziele und nachhaltiger Verkehrswege. Mit dem Deutschlandtakt hat die deutsche Verkehrspolitik ein langfristiges politisches Programm initiiert, um den Schienenverkehr angebotsorientiert zu gestalten und seine Attraktivität zu steigern. Dieses Programm wird von verschiedenen Akteuren aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Verbänden getragen. Dieser Beitrag untersucht, was diese Akteure zusammenhält und wie sich ihr gemeinsames Eintreten für das Politikprogramm erklären lässt. Anhand des Programmatic Action Framework (PAF) werden in diesem Beitrag die biographischen Schnittstellen der Akteure und die Rolle der institutionalisierten Foren untersucht, die ihre Zusammenarbeit aus der Perspektive des PAF erklären. Der Beitrag zeigt außerdem, dass bereits bestehende gemeinsame soziale Identitäten ein Schlüsselfaktor für die Bildung einer programmatischen Identität sein können.
Johanna Hornung, Ilana Schröder, Nils C. Bandelow
Mobilität im Nexus. Zur Vernetzung der Verkehrspolitik
Zusammenfassung
In der Mobilitätspolitik ist wie auch in der Klima- und Energiepolitik die wechselseitige Abhängigkeit zwischen Politikfeldern zu einer zentralen gesellschaftlichen Herausforderung geworden. Den Ausgangspunkt dieses Kapitels bildet die Beobachtung, dass sich zur Bewältigung der Nexusprobleme längst schon neuartige Arrangements der Abstimmung und Politikberatung (“Policy Expert Arrangements”, PEA) herausgebildet haben. Ziel dieses Beitrages ist es, die Positionierung verkehrspolitischer Akteure und deren Vernetzung mit Akteuren angrenzender Politikfelder herauszuarbeiten, anhand quantitativer Netzwerkanalysen den Vernetzungspotenzialen von PEAs im Nexus nachzugehen und dabei zentral positionierte, dominante wie auch strukturell schwächere Akteure zu identifizieren. Die Datenbasis beruht auf einer Datenbank, die mittlerweile über 80 PEAs und knapp 20.000 daran teilnehmende Personen und Organisationen umfasst.
Holger Straßheim, Rebecca-Lea Freudl, Juliane Haus
Verkehrspolitik als Hegemoniefrage. Eine Analyse der Auseinandersetzungen um die Mobilitätswende in Deutschland
Zusammenfassung
In jüngster Zeit hat eine bemerkenswerte Politisierung des Klimawandels stattgefunden. Damit einher ging auch eine Zuspitzung verkehrspolitischer Auseinandersetzungen. In diesem Beitrag wird eine auf Antonio Gramsci basierende hegemonietheoretische Analyseperspektive entwickelt und das Feld der Auseinandersetzung strukturiert. Es lassen sich zwei Hegemonieprojekte identifizieren: Das eine zielt auf die Erneuerung der Autohegemonie ab, das andere auf eine Verkehrswende, die zumindest eine partielle Abkehr von der Dominanz des Automobils und der Aufwertung des öffentlichen Verkehrs und des Aktivverkehrs beinhaltet. Die starke und vielschichtige hegemoniale Verankerung der Automobilität verweist darauf, dass eine Verkehrswende nur durch intensive gesellschaftliche Auseinandersetzungen in verschiedenen Feldern gelingen kann. Die empirische Analyse des Beitrags basiert auf der Auswertung von Primär- und Sekundärquellen sowie 21 Expert:inneninterviews, die im Zuge des Forschungsprojekts „Die politische Ökonomie der E-Mobilität. Eine Analyse zu den Potentialen und Hindernissen in der Transformation zu einer nachhaltigen Verkehrspolitik in Deutschland und der Europäischen Union“ in den Jahren 2018 und 2019 an der Freien Universität Berlin durchgeführt wurden.
Tobias Haas
Streit um den Gemeingebrauch im Verkehrsrecht. Aktuelle Aushandlungsprozesse über die Nutzungsbedingungen öffentlicher Räume
Zusammenfassung
Jahrzehntelang war die Verkehrspolitik in Deutschland auf allen föderalen Ebenen von einer Strategie der „Doppelförderung“ geprägt. Verkehrsverlagerung und -vermeidung galten zwar als Ziel einer auf Nachhaltigkeit gerichteten Verkehrspolitik; „Push-Maßnahmen“, die auf eine Minderung der Attraktivität des Autos abzielen, wurden aber weder auf Bundesebene noch in den meisten Städten systematisch umgesetzt. Aktuell zeichnen sich aber Risse in der „kulturellen Hegemonie“ des Autos ab. Vor allem in den großen Städten kann eine Re-Politisierung der Verkehrspolitik beobachtet werden. Im Zentrum der Diskussion steht dabei der öffentliche (Verkehrs-) Raum und dessen Verteilung unter den Verkehrsträgern. In diesem Kontext treten zunehmend Spannungen zwischen den regulatorischen Rahmenbedingungen des Verkehrs und den nachhaltigkeitsbezogenen politischen Ausgestaltungswünschen auf kommunaler Ebene zutage. Anhand aktueller Aushandlungsprozesse im Politikfeld Verkehr zeigt der Beitrag auf, welche Aspekte der rechtlichen Rahmenbedingungen grundlegende, auch kulturelle, Auffassungen von Verkehrsgestaltung und verkehrspolitischen Zielsetzungen berühren. Als Beispiel dient der aktuelle verkehrspolitische Diskurs über die Ausgestaltung des Straßenverkehrsgesetzes sowie der Straßenverkehrsordnung und der Straßengesetze auf Länderebene. Im Zentrum steht dabei die Diskussion um die Interpretation des „Gemeingebrauchs“ und dessen mögliche Neudefinition im Kontext einer auf ökologische Nachhaltigkeit und Stadtverträglichkeit ausgerichteten Verkehrspolitik.
Lisa Ruhrort
Entwicklungsmuster lokaler Verkehrspolitik. Die Perspektive des Policy Design
Zusammenfassung
Seit gut drei Jahrzehnten begleitet die Rede über eine Verkehrs- und Mobilitätswende die Entwicklung der lokalen Verkehrspolitik in Deutschland. Die Diskussion zu den teilweisen Fahrverboten im Kontext des Diesel-Skandals hat die Verkehrswende in den Städten nochmals in den Fokus der politischen Aufmerksamkeit gerückt. Während sich die Entwicklung des Verkehrsgeschehens und Mobilitätsverhaltens in Form quantitativer Analysen relativ gut nachvollziehen lässt, ist zum Wandel und zur Wirksamkeit der lokalen Verkehrspolitik und Verkehrsplanung tatsächlich wenig geforscht worden. Ähnlich wie bei der lokalen Klima- und Energiepolitik wird häufig zwischen stilbildenden Vorreitern (etwa Freiburg, Karlsruhe, Münster) und Nachzüglern unterschieden. Der Beitrag basiert auf Zwischenergebnissen eines empirischen Projekts und stellt zunächst die Entwicklung des Verkehrsgeschehens in 10 deutschen Städten unterschiedlicher Größe dar. In einem zweiten Schritt werden die Entwicklungsmuster lokaler Verkehrspolitik der letzten 15 Jahre in diesen Städten dazu in Beziehung gesetzt. Der Wandel der lokalen Verkehrspolitik wird den Ansätzen zum Policy-Design folgend in unterschiedlichen Dimensionen dargestellt (Wissensgrundlagen, Instrumente, Organisationsveränderungen, etc.). Im Ergebnis ist weniger überraschend, dass sich lokal spezifische Muster der Problemverarbeitung herausbilden. Diskussionswürdig ist eher, dass offenbar in einigen Fällen entgegen dem Trend der Aspekt des Monitorings der Maßnahmen, Evidenzbasierung und Evaluation eine eher geringere Rolle spielen oder zumindest erst in jüngerer Zeit stärkere Berücksichtigung finden.
Karsten Zimmermann
Entkoppeltes, fragmentiertes und relatives Wissen: Fahrverbote aus Sicht der Koproduktion
Zusammenfassung
Zahlreiche Städte in Deutschland verstoßen regelmäßig gegen die EU-Luftqualitätsstandards und damit gegen geltendes Recht. Drei Jahre nach Beginn des Diesel-Skandals hat das Bundesverwaltungsgericht 2018 entschieden, dass Städte Fahrverbote für Dieselfahrzeuge verhängen können, um die Luftqualität in Städten zu verbessern. Zwar gelten Fahrverbote als wirksame Regulation, gleichzeitig haben sie mittelfristig jedoch nur begrenzte Auswirkungen auf die Emissionen und werfen soziale Fragen auf. Qualitativ-interpretative wissenschaftliche Studien beschäftigen sich bislang kaum mit dieser Diskrepanz. Der folgende Beitrag stellt daher die Frage, welche Argumente die Entscheidung für Fahrverbote begünstigt haben. Das Konzept der Koproduktion aus den Science and Technology Studies (STS) dient als heuristisches Instrument, um die Einführung von Fahrverboten besser zu verstehen. Auf der Grundlage einer qualitativen Inhaltsanalyse von Aussagen zentraler Akteure in diesem Bereich, arbeitet der vorliegende Beitrag drei Thesen heraus, die den Entscheidungsprozess für diese policy begünstigt haben könnten und macht die Entkoppelung von Technik und Gesellschaft, die Relativität wissenschaftlichen Wissens sowie die fragmentierte Produktion von Wissen zum Thema.
Antonia Graf
Zwischen Ambition und Umsetzung. Institutionalisierungsprozesse als Kernherausforderung der Mobilitätswende?
Zusammenfassung
Das Handeln professioneller Akteure auf der lokalen Ebene ist essenziell für die Umsetzung der Mobilitätswende. Der Blick auf Institutionalisierungsprozesse hilft hier, Herausforderungen im Umgang mit technologischen Innovationen besser zu verstehen, die Beiträge zur Stärkung des Umweltverbundes versprechen. Beispielhaft zeigen hier urbane Seilbahnen, wie kleinteilige Lücken an Erfahrungswerten und in Planungsinstrumenten den Einsatz bereits eines technologisch ausgereiften Verkehrsmittels im dicht regulierten Planungsgefüge des öffentlichen Verkehrs erschweren. Das Transformationspotenzial des automatisierten Fahrens hingegen reicht viel weiter und umfasst Möglichkeiten eines attraktiveren öffentlichen Verkehrs ebenso wie Risiken einer noch weiter gefestigten Automobilität. Die verkehrspolitische Debatte dazu ist jedoch bisher stark technologisch ausgerichtet. Trotz zahlreicher technischer Versuchsbetriebe erfolgt bisher kaum eine Auseinandersetzung mit den darüber hinaus reichenden Anforderungen an eine mobilitätswendegerechte Einbindung der Technologie ins Mobilitätssystem. Die proaktive und zielgerichtete Gestaltung entsprechender Institutionalisierungsprozesse als Teil des Transformationsprozesses erweist sich daher als wesentliche Herausforderung zur Erreichung der Mobilitätswende, die in Relation zu deren inhaltlichen Zielen und dem mit ihr verbundenen politischen Diskurs zu setzen ist.
Max Reichenbach, Torsten Fleischer
Der Integrierte Policy Package Ansatz: Ein Beitrag für ex-ante Wissen zur Mobilitätswende
Zusammenfassung
Eine klimapolitische Herausforderung ist die Transformation des Mobilitätssystems hin zu geringen Kohlendioxidemissionen bei Bereitstellung und Gebrauch von Energie. Diese Transformation basiert zuvorderst auf politischen Entscheidungen und Interventionen. Diese Entscheidungen müssen ex-ante bewertet werden, um eine gute Governance zu gewährleisten. In diesem Buchbeitrag stellen wir einen integrierten Bewertungsansatz für politische Maßnahmenpakete (IPPA) vor. IPPA besteht aus den vier Schritten Design, Bewertung, Evaluierung und Diskurs. Im Ergebnisteil wird zunächst das IPPA Konzept dargestellt und daran anschließend am Beispiel des städtischen Personenverkehrs angewendet. In der Durchführung wurden zwei komplementäre Maßnahmenpakete ausgearbeitet – ein Paket für „Multi- und Intermodalität" und ein Paket für „alternative Antriebe" bestehend jeweils aus mehreren Einzelmaßnahmen. Im Rahmen dieses Buchkapitels beschränken wir uns auf die Darstellung des Multi- und Intermodalitätspaketes. Die einzelnen Maßnahmen wurden durch eine Vielzahl von einzelnen Wirkungsstudien aus verschiedenen Disziplinen analysiert. Über eine Synthese der einzelnen Studienergebnisse haben wir eine Folgenabschätzungsmatrix für die Paketbewertung entwickelt. Die Matrix umfasst die Wirkungskategorien Technologieentwicklung, Sektorintegration, Umweltwirkungen, soziale Resonanz und institutionelle Faktoren. In einem weiteren Schritt wurden die zentralen Ergebnisse der Folgenabschätzung im Rahmen eines Praxis-Wissenschafts-Dialogs aus der Sicht verschiedener Akteure und Praxisexperten reflektiert und diskutiert.
Dirk Scheer, Annika Arnold, Marion Dreyer, Maike Schmidt, Lisa Schmieder
Virtuelle Bürgerbeteiligung beim Schienenbau. Katalysator für Konfliktentwicklungen?
Zusammenfassung
Analoge Partizipationsformate zur Einbindung von lokalen Betroffenen bei Verkehrsinfrastrukturprojekten werden nicht erst seit der Corona-Pandemie durch digitale Beteiligungselemente ergänzt. Gerade bei den komplexen und oft eskalativen Planungen um den Aus- und Neubau von Schieneninfrastruktur ist eine möglichst breite und niedrigschwellige Einbindung von Betroffenen erwünscht, teilweise rechtlich gefordert und politisch notwendig. Ein aktuelles Projekt der TU Braunschweig mit Praxispartnern entwickelt ein Tool zur internetbasierten Unterstützung von Beteiligungsverfahren. Es soll die Möglichkeit geschaffen werden, Trassenvorschläge durch Betroffene digital zu einzubringen. Dabei werden unter Nutzung hochpräziser Geodaten technische, ökologische und weitere Kriterien der Trassenbewertung berücksichtigt und direkt bewertet. Der Beitrag untersucht auf Basis von Leitfadeninterviews mit Beteiligten unterschiedlicher Bahnprojekte, welche Anforderungen, Potenziale und Herausforderungen bei der Nutzung eines solchen Tools zu beachten sind. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass bei bahnpolitischen Entscheidungsprozessen die Digitalisierung als Verstärker gegensätzlicher Effekte wirkt: Ein digitales Tool kann bei richtiger Verwendung vertrauensvoll gestaltete Beteiligungsprozesse weiter optimieren, es kann aber auch die eskalative Wirkung fehlerhafter Partizipationsgestaltung verstärken.
Nils C. Bandelow, Ilana Schröder, Marc-O. Löwner
The Next Big Thing: Autonome Shuttles als neuer öffentlichen Nahverkehr. Perspektiven und Probleme der Implementierung
Zusammenfassung
Um das Automatisierte Fahren ist seit einigen Jahren ein Hype entstanden. Ziel aller Forschungs- und Entwicklungsvorhaben in der deutschen Autoindustrie ist das noch etwas bequemere und sicherere, im privaten Eigentum befindliche Auto mit der Grundidee des Selbstfahrens. Ganz andere Ziele verfolgen Digitalunternehmen wie Waymo oder Cruise in den USA, aber auch chinesische Plattformanbieter, die an der Soft- und Hardware tatsächlich autonom fahrender Fahrzeuge arbeiten. Das dahinterliegende Geschäftsmodell sind Dienstleistungen des „Gefahrenwerdens“. In Pilotprojekten werden in Deutschland zugleich teilautonome Shuttle-Busse als öffentlich zugängliche Verkehrsangebote getestet. Sie haben ein hohes zeitliches und räumliches Flexibilisierungspotenzial. Zudem können sie die „erste und letzte Meile“ im Öffentlichen Verkehr (ÖV) gewährleisten. So könnten sie Elemente eines modernisierten Öffentlichen Nahverkehrs sein. Diese innovativen Verkehrsangebote werden von eher randständigen mittelständischen Unternehmen mit begrenzten Forschungs- und Entwicklungsressourcen vorangetrieben, für sie gelten zudem hohe rechtliche Hürden und nachhaltige Finanzierungsformen für einen dauerhaften Betrieb. Die Implementierung von automatisiert fahrenden Shuttles war aufgrund unpassender regulativer Bedingungen lange sehr aufwendig. Eine unerwartete Dynamik könnte das neue „Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und des Pflichtversicherungsgesetzes – Gesetz zum autonomen Fahren“ bringen. Danach dürfen erstmals „aus der Ferne beaufsichtigte“, also tatsächlich autonom fahrende Taxis und Shuttles im öffentlichen Straßenraum unterwegs sein. Damit öffnet sich ein Möglichkeitsfenster für tiefgreifende Angebotsinnovationen im ÖV. Welche Anreize und Änderungen im gesetzlichen Rahmen des Öffentlichen Verkehrs nötig sind und wie umgekehrt der Abbau der Privilegien des privaten Autoverkehrs aussehen muss, um dem skizzierten Modell eines attraktiven Öffentlichen Nahverkehrs zum Erfolg zu verhelfen, ist eine lohnende Aufgabe für eine proaktive Policy-Forschung.
Weert Canzler, Andreas Knie
Policy-Analyse und Mobilitätswissenschaft – Schlussfolgerungen und Ausblick
Zusammenfassung
Bislang bleibt ein Großteil der Forschung zur Verkehrs- und Mobilitätswissenschaft einem „technisch-rationalen“ Modell verhaftet, das die Komplexität verkehrspolitischer Politikprozesse ausblendet und durch Fragen nach der technologischen Planbarkeit, Machbarkeit und Umsetzung verkehrspolitischer Lösungen überlagert. Der vorliegende Band markiert in diesem Sinne einen Aufbruch Die Beiträge identifizieren Vetopositionen und institutionellen Wandel in verkehrspolitischen Governancekonstellationen; sie rekonstruieren Akteurskonstellationen und damit verbundene Machtpositionen; sie erschließen Potenziale für Policy-Design und Politikentscheidungen im Kontext der Verkehrs- und Mobilitätswende. Die Beiträge spiegeln in ihrer Gesamtheit die Stärke der Politikfeldanalyse und Mobilitätswissenschaft wider, komplexe Untersuchungszusammenhänge mithilfe konzeptuell unterschiedlich ausgelegter, aber einander nicht ausschließender Ansätze zu durchdringen. Verkehrspolitik zeigt sich in den Beiträgen als mehrdimensionaler Kopplungszusammenhang aus verteilten Kompetenzen und Veto-Positionen im föderalen Mehrebenensystem, aus taktischen, fragmentierten und substanziellen „issue-linkages“, Orientierungen an hegemonialen Mobilitätsprojekten und sind schließlich auch das Ergebnis des Nexus technisch interdependenter Politikfelder und Sektoren. In dieser Komplexität sind jedoch auch praxisrelevante und problemlösungsbezogene Ansatzpunkte zu identifizieren, die in den Beiträgen diskutiert werden.
Holger Straßheim, Karsten Zimmermann, Detlef Sack
Erratum zu: Entkoppeltes, fragmentiertes und relatives Wissen: Fahrverbote aus Sicht der Koproduktion
Antonia Graf
Metadaten
Titel
Renaissance der Verkehrspolitik
herausgegeben von
Detlef Sack
Holger Straßheim
Karsten Zimmermann
Copyright-Jahr
2023
Electronic ISBN
978-3-658-38832-4
Print ISBN
978-3-658-38831-7
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-38832-4

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