Skip to main content

07.07.2023 | Transformation | Interview | Online-Artikel

"Das Beste liegt noch vor uns, muss die Devise sein"

verfasst von: Michael Reichenbach

5:30 Min. Lesedauer

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
print
DRUCKEN
insite
SUCHEN
loading …

Im Interview spricht der Zukunftsforscher Dr. Andrej Heinke von Bosch über die Bedeutung von Partnerschaften sowie über den Philosophen, Filmemacher und Schriftsteller Alexander Kluge, das KI-Textprogramm ChatGPT, Halbleiter und mehr Resilienz. 

ATZ _ Springer Professional: Herr Dr. Heinke, wieso leistet sich Bosch eine Zukunftsabteilung?

Heinke: Zukunftsforschung ist eine Investition in die Zukunft. Sie dient dazu, Entwicklungen frühzeitig antizipieren und daraus Schlüsse ziehen zu können. Der Megatrend-Report von Bosch wendet sich an ein internes Publikum und soll Wechselwirkungen und Zusammenhänge, aber auch Risiken und Chancen sichtbar machen, um den Kontext für Entscheidungen besser zu verstehen. Außerdem soll er dazu anregen, die eigene Meinung kritisch zu hinterfragen und die Dinge aus der Perspektive externer Experten zu betrachten. Diese bringen einen anderen Blickwinkel ein.

Es gibt einen Trend hin zu mehr Partnerschaften, denn die anstehenden komplexen Aufgaben etwa beim autonomen Fahren und bei der Antriebselektrifizierung lassen sich nur gemeinsam lösen. Wie müssen die Beziehungen zwischen asiatischen Newcomern, neuen US-Wettbewerbern und den europäischen OEMs aufgesetzt sein?

Neu ist, dass es gleichzeitig Wettbewerb und Kooperation mit ein und demselben Unternehmen geben kann. Wie sich das in den nächsten Jahren gestalten wird, wird zu den spannendsten Zukunftswetten zählen. Partnerschaften sind ein wesentlicher Faktor, wenn es gilt, neue Technologien voranzutreiben. Stückzahlen, Qualität, Zuverlässigkeit, Lieferfähigkeit und Kosten sind dabei die kritischen Punkte. 

Empfehlung der Redaktion

2022 | OriginalPaper | Buchkapitel

Das kleine Einmaleins der Zukunftsforschung: Grundlagen und Überblick

Zukunft überfordert uns zunächst. Wir wissen nicht, was kommen mag. Diesem Mangel hilft das Zukunftsmanagement ab, indem es (nicht nur) wahrscheinliche, erwünschte und mögliche Zukunftsentwürfe aufstellt und sogenannte Wildcards betrachtet.

Ich war erstaunt, dass Sie häufig den Filmemacher und Schriftsteller Alexander Kluge interviewt haben. Was hat er mit dem Automobil zu tun?

Bosch hat das Selbstverständnis, "Technik fürs Leben" zu schaffen. Das heißt, ich muss das Leben besser verstehen, wenn ich Technik anbieten will, die einen Mehrwert für die Menschen schafft. Da kann ich einerseits Ingenieure und Techniker befragen und andererseits zum Beispiel auch mit Philosophen, Soziologen, Psychologen und Künstlern sprechen. Im Austausch mit all diesen Gruppen entsteht ein besseres Verständnis für die Bruchzonen, an denen das Neue entsteht. Alexander Kluge bringt dabei das Wichtigste mit: Optimismus. Zudem kann er Zusammenhänge herstellen wie sonst kaum einer. Er ähnelt darin einem Renaissancegelehrten, der Brücken zwischen den einzelnen Fachdisziplinen baut. Das macht ihn zu einem Gesprächspartner, den man nicht vergisst. Er wiederholt nicht die Meinung Dritter, sondern hat gänzlich eigene Gedanken und spannt den Horizont weit auf.

Bei den sogenannten sozialen Medien erhält jene Person hohe Klickzahlen, also Leser und User, die sich dort möglichst hart und extrem äußert. Werden KI-Programme wie ChatGPT von Open AI diesen Trend samt Fake News noch verschärfen?

Das KI-System ChatGPT generiert zusammenhängenden Text, indem es das digital vorhandene Wissen nach Wahrscheinlichkeiten zusammenstellt. Das System versteht nichts von dem, was es auswirft. Der Großteil des Textes mag faktenbasiert sein, aber es gibt auch Aussagen, die nicht stimmen. Als Nutzer braucht man selbst genug Wissen im jeweiligen Bereich, um erkennen zu können, was davon stimmen könnte. In Zukunft kommt es mehr denn je auf den Mut an, die Frage zu stellen "Stimmt das denn?", aber auch die Wahrheit zu erkennen. Ganz so, wie das kleine Kind im Märchen von Hans-Christian Andersen "Des Kaisers neue Kleider", das überrascht ausruft, der Kaiser habe ja gar nichts an. Diese Fähigkeit wird für die Generation unserer Kinder die größte Aufgabe werden, um die Zukunft selbst gestalten zu können. Das hat etwas mit Freiheit zu tun, aber auch mit der Frage, wer die Macht hat.

Man darf sich den Optimismus für die Zukunft also nicht nehmen lassen?

Niemals. Wer von der Zukunft nichts Gutes mehr erwartet oder bestenfalls den Status quo halten will, verliert Optionen und schränkt die eigene Handlungsfähigkeit ein. Offenheit im Kopf und bei den technologischen Lösungen sind ein wirksames Gegenmittel gegen Angst und Pessimismus. Konkrete Lösungen zu beschreiben und deren Umsetzung zu beweisen, das schafft Vertrauen und setzt gemeinsame Energien frei. Das Beste liegt noch vor uns, das muss die Devise sein.

An was denken Sie, wenn Sie an Mobilität denken?

Mobilität gehört zum Leben. Neue Technologien können dazu beitragen, effizienter, sicherer und nachhaltiger unterwegs zu sein. Bosch ist seit 2020 mit seinen weltweit mehr als 400 Standorten klimaneutral. Das betrifft Scope 1 und 2. Künftig werden wir noch höhere Ansprüche an die Mobilität entwickeln, es geht nicht mehr nur um das Bewegen von A nach B. Die Menschen erwarten komfortable Sicherheit, Vernetzung in Echtzeit, gutes Gewissen bei der Nachhaltigkeit, Fahrspaß und Freiheit. Bei der Mobilität werden Vernunft und Gefühl nie ganz deckungsgleich sein.

Die Lieferkettenproblematik bei asiatischen Mikrochips hat uns die Augen geöffnet, mehr Resilienz ist das Gebot der Stunde. Die EU will mit eigenen Halbleiterwerken gegensteuern. Aber ist das zum Scheitern verurteilt?

Nein. Die zusätzlich entstehenden Halbleiterwerke sorgen für mehr Resilienz in der EU und anderswo. Sie entstehen aus der Einsicht, dass Halbleiter in immer mehr Branchen eingesetzt werden, zum Beispiel für Konsumgüter, Automobile und Datenverarbeitung. Europa ist kein Museum, sondern eine hochinnovative Region. Auch die USA bauen ihre Halbleiterindustrie weiter aus. Zusätzliches Ziel dieser Aktivitäten hier wie dort ist eine größere Unabhängigkeit von geopolitischen Risiken. Wachsende Resilienz ist im Interesse aller.

Bekommen Sie von jüngeren Lesern ein anderes Feedback auf Ihre Reports als von älteren?

Bei meinen Kindern liege ich völlig abgeschlagen hinter den "Drei Fragezeichen". Da sind die Boschler insgesamt dankbarer. Deren Leseverhalten ist aber sehr unterschiedlich, manche lesen von vorn nach hinten, manche von hinten nach vorne, andere wiederum picken sich gezielt Themen heraus. Viele lesen den Report nur elektronisch. Mich freut sehr, dass der Megatrendreport mittlerweile recht bekannt ist. Mich kennen nur wenige, das ist gut so. Wichtiger ist, dass der offene Blick über den Tellerrand willkommen ist.

Herr Dr. Heinke, haben Sie vielen Dank für den aufschlussreichen Dialog.

125 Jahre ATZ – Automobiltechnische Zeitschrift

Mehr vom Interview können Sie in der ATZ 7-8/2023, dem Sonderheft zu 125 Jahre ATZ, lesen, das am 21. Juli 2023 erscheinen wird.

print
DRUCKEN

Weiterführende Themen

Die Hintergründe zu diesem Inhalt

    Premium Partner