Skip to main content

01.11.2022 | Wasserstoff | Schwerpunkt | Online-Artikel

Wasserstoff zielgerichtet und sparsam einsetzen

verfasst von: Christiane Köllner

6:30 Min. Lesedauer

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
loading …

Grüner Wasserstoff bleibt auf absehbare Zeit ein knappes Gut. Ein aktuelles Forschungsprojekt fordert daher eine politische Priorisierung des H2-Einsatzes. Wasserstoff für Pkw steht nicht oben auf der Liste. 

Grüner Wasserstoff birgt große Chancen für die Transformation des Energiesystems. Er soll zur Energiesicherheit beitragen und im großen Stil Erdgas und Öl im Verkehr sowie in der Wärmeversorgung ersetzen. Auf absehbare Zeit bleibt dessen Verfügbarkeit aber im Verhältnis zu den geplanten Bedarfen knapp, selbst wenn mögliche Importe berücksichtigt werden. Daher muss Wasserstoff zielgerichtet und sparsam eingesetzt werden. Neben dem Ausbau der Wasserstoffwirtschaft und der erneuerbaren Energien plädieren Experten mithin auch für die Priorisierung von Wasserstoffanwendungen. 

Empfehlung der Redaktion

2021 | OriginalPaper | Buchkapitel

Wasserstoff

Wasserstoff scheint das Schlüsselelement der Energiewende zu sein. Man setzt Wasserstoff anstelle von Öl und Gas ein, löst damit die CO2-Problematik und kann auch noch wesentliche Teile der heutigen Infrastruktur weiter nutzen, so die Idee. Selbstverständlich wird nur grüner Wasserstoff aus regenerativen Energien gewonnen, und falls wir nicht genügend Sonne und Wind vor Ort haben, importieren wir den Wasserstoff aus sonnenreichen Ländern. Aber so einfach geht es nicht. Die Umstellung auf eine Wasserstoffwirtschaft – und der Gedanke ist schon Jahrzehnte alt – benötigt nicht nur riesige Mengen an Strom und wesentliche technische Weiterentwicklungen. Die enormen Mengen an regenerativem Strom können in Deutschland nicht erzeugt werden. Sollen wir den Entwicklungsländern das kostbare Gut Wasser entziehen, nur um es in exportierbaren Wasserstoff umzuwandeln? Für die zukünftige Wasserstoffwirtschaft braucht es ganz neue internationale Energiepartnerschaften.

Wie kann eine solche Priorisierung aussehen? Forschende vom Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit und vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) empfehlen die Förderung von Wasserstoff auf Anwendungsfelder wie die Stahl- und Ammoniakproduktion sowie langfristige Energiespeicherung zu beschränken. Ohne klare politische Priorisierung würden Fehlentwicklungen drohen, die einen nachhaltigen Einsatz von Wasserstoff gefährden und gleichzeitig effizientere, preiswertere Alternativen verdrängen könnten. In dem Impulspapier "Wasserstoff sparsam einsetzen" geben die Forschenden basierend auf dem Bericht "Das Wasserstoffdilemma: Verfügbarkeit, Bedarfe und Mythen" aktuelle Politikempfehlungen. Dazu zählt etwa: Wasserstoff wird für Pkw, Busse und für den Lieferverkehr als nicht sinnvoll erachtet.

Ohne große Mengen an grünem Strom kein grüner Wasserstoff 

Die Rolle von (grünem) Wasserstoff ist in den kommenden Jahren vor allem durch dessen geringe Verfügbarkeit begrenzt. "Zwar wird grüner Wasserstoff ein unverzichtbarer Baustein im Energiesystem der Zukunft sein, aber seine Herstellung erfordert große Mengen an grünem Strom. Es dauert daher, bis größere Mengen verfügbar sein werden", sagt Jens Clausen vom Borderstep Institut. 

Genaue Zahlen gehen aus einem Papier von Experten von sechs Instituten für das Kopernikus-Projekt Ariadne zur Energiewende hervor, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Darin heißt es: Um bis 2030 1 % der Energienachfrage in der Europäischen Union (EU) mit heimischem grünem Wasserstoff zu decken, müsste die Produktion pro Jahr um rund 70 % steigen. Und auch das sei nur möglich, falls das europäische 40-GW-Ausbauziel für Elektrolysekapazität erreicht wird. Der Wasserstoff-Markthochlauf müsste doppelt so schnell wie bei Windkraft und ähnlich schnell wie bei Photovoltaik erfolgen. 

"Auch wenn ein noch schnelleres, beispielloses Wachstum denkbar ist und außereuropäische Importe berücksichtigt werden, sind die Wasserstoffmengen bis mindestens 2030 anteilig gering", heißt es im Papier. Auch für die Zeit danach würde Unsicherheit darüber herrschen, ab welchem Zeitpunkt grüner Wasserstoff in großen Mengen und zu welchen Preisen verfügbar sein werde. Die realisierbaren Mengen und Preise von E-Fuels würden zusätzlich durch die Knappheit und die Kosten von nicht-fossilen CO2-Quellen, insbesondere aus Anlagen zur CO2-Luftabscheidung, bestimmt werden.

Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit von Wasserstoff

Auf Kurs zur Klimaneutralität 2045 sollten demnach in einer "Dekade der Elektrifizierung", so die Ariadne-Forschenden, die Kapazitäten erneuerbarer Energien verdreifacht werden, batterieelektrische Fahrzeuge die Pkw-Neuzulassungen dominieren und etwa 5 Millionen Wärmepumpen installiert werden. Gleichzeitig müsse jedoch der Markthochlauf von Wasserstoff bereits heute mit großem politischem Nachdruck verfolgt werden. 

Zu knappe Strommengen aus Solar- und Windenergie sind aber nicht die einzige Hürde. Es fehlen außerdem noch Produktionsanlagen bzw. -kapazität für Wasserstoff. Eine Studie von Forschenden um Adrian Odenweller und Falko Ueckerdt vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), die in der Zeitschrift Nature Energy erschienen ist, hat ermittelt: Ausgehend von geschätzten 600 MW weltweit im Jahr 2021 in zumeist kleinen und individuell gefertigten Anlagen (<10 MW) müsste die globale Kapazität von 2021 bis 2050 um das 6.000- bis 8.000-fache wachsen, um mit dem Pariser Abkommen kompatible Klimaneutralitätsszenarien zu erfüllen, heißt es. Dies übersteige die gleichzeitig erforderliche Verzehnfachung der erneuerbaren Energien. 

Elektrolysekapazität unklar

Während die Ankündigungen von Elektrolyseprojekten auf eine exponentielle Zunahme der Dynamik in den kommenden Jahren mit dreistelligen jährlichen Wachstumsraten hindeuteten, so die Forschenden in der Nature-Energy-Publikation, seien 80 % der angekündigten zusätzlichen Kapazitäten, die bis 2023 ans Netz gehen sollen, noch nicht durch eine endgültige Investitionsentscheidung abgesichert. "Es bleibt daher unklar, wie viele Elektrolyseprojekte kurzfristig realisiert werden und ob die Gesamtkapazität schnell genug wachsen kann, um den mittel- bis langfristigen Wasserstoffbedarf zu decken", so die Forschenden. 

Der Ausbau der weltweiten Elektrolyse- und E-Fuel-Kapazität werde dadurch gehemmt, "dass die meisten Anwendungen von grünem Wasserstoff und E-Fuels, trotz zu erwartender Kostensenkungen vor 2030 ohne eine direkte Förderung wahrscheinlich noch nicht wettbewerbsfähig sein werden", so das Ariadne-Papier. Steigende CO2-Preise würden zwar zunehmend die Mehrkosten im Vergleich zu fossilen Alternativen reduzieren, reichten aber bis 2030 wahrscheinlich nicht aus, um die "Wettbewerbslücke" zu schließen und Kostenparität zu erreichen.

Direkt-elektrische Optionen wo möglich priorisieren

Solange Unklarheit über realisierbare Wasserstoffmengen- und -preise herrscht, sollte Wasserstoff vor allem dort eingesetzt werden, wo es keine Alternativen durch die direkte Elektrifizierung gibt, raten die Ariadne-Forschenden. Etwa in der Industrie bei der Ammoniak- oder Stahlproduktion, bei den E-Fuels etwa im Fernflug- oder Schiffsverkehr. Auch die Wissenschaftler vom Borderstep Institut und IÖW kommen zu diesem Schluss: "In der Stahlherstellung, als Langzeit-Energiespeicher und als Rohstoff für Raffinerien und die Chemieindustrie ist Wasserstoff nach heutigem Stand der Technik unverzichtbar, um die Klimaziele zu erreichen. In anderen Bereichen sollten energetisch und preislich effizientere Lösungen bevorzugt werden", sagt Florian Kern vom IÖW. Die Stahlerzeugung verursacht in Deutschland jährlich rund 7 % der CO2 -Emissionen.

Auch aus der Automobilindustrie seien ähnliche Stimmen zu hören, wie Richard Backhaus im Artikel Wasserstoff statt Kohle – So wird der Stahl "grün" aus der ATZelektronik 7-8-2022 schreibt. Er gibt folgendes Beispiel: "So vertritt der Nutzfahrzeughersteller Traton die Auffassung, H2 den schwer zu dekarbonisierenden Industrien wie Stahlwerken zu überlassen und die Elektrifizierung des Antriebs bevorzugt über Batterien statt H2-Brennstoffzellen zu bewerkstelligen".

Da es bei der Herstellung von Wasserstoff hohe Umwandlungsverluste gebe, verbrauche Wasserstoff deutlich mehr Primärenergie als direkt-elektrische Lösungen: Ein Heizkessel mit Wasserstoff etwa würde fünfmal so viel Energie verbrauchen wie eine Wärmepumpe, rechnen die Forschenden von Borderstep Institut und IÖW vor. Und ein Pkw mit Wasserstoffantrieb benötige doppelt so viel grünen Strom wie ein E-Auto mit Akku. Fördere die Politik Wasserstoff in solchen Bereichen trotzdem, könnten sich effizientere Technologien weniger durchsetzen.

Wasserstoff aus fossilen Quellen als Brückentechnologie?

"Für den Klimaschutz ist es ein riesiges Problem, wenn sinnvolle Investitionen durch Technologie-Hypes verhindert werden", warnt Technologieforscher Kern vom IÖW. "Sollte sich herausstellen, dass die Prognosen zur Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff zu optimistisch waren, müssen wir uns weiterhin mit fossilen Brennstoffen behelfen und verfehlen die Klimaziele.“

Denkbar sei auch, so die Ariadne-Forschenden, Wasserstoff aus fossilen Quellen als zeitlich begrenzte Brückentechnologie einzusetzen – allerdings begleitet durch Zertifizierung, Regulierung und entsprechender Bepreisung von Emissionen. Nur so ließe sich sicherstellen, dass Treibhausgasemissionen tatsächlich reduziert und nicht nur verlagert werden.

Wasserstoff- in Klimaschutzstrategie einbetten

Die Forschenden vom Borderstep Institut und IÖW fordern die Bundesregierung auf, in ihrer Wasserstoffstrategie klare Prioritäten zu setzen. Zentrales Instrument der Politik sei die Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung von 2020, die in diesem Jahr überarbeitet werden soll. "Pilotprojekte können sinnvoll sein, um Technologien weiterzuentwickeln und praktische Erfahrungen zu sammeln. Aber es braucht auch Richtungssicherheit, in welchen Bereichen Wasserstoff wirklich eine gute Option zur Dekarbonisierung ist. Fördermittel sollten in solche Anwendungen fließen, für die weitgehender Konsens besteht, dass Wasserstoff dort notwendig ist", sagt Florian Kern vom IÖW.

Für die Ariadne-Wissenschaftler muss eine erfolgreiche Wasserstoffstrategie in eine Klimaschutzstrategie eingebettet werden, die den Unsicherheiten sowohl von Wasserstoff und E-Fuels als auch der direkten Elektrifizierung Rechnung trägt.

Weiterführende Themen

Die Hintergründe zu diesem Inhalt

Das könnte Sie auch interessieren

    Premium Partner