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Open Access 2024 | OriginalPaper | Buchkapitel

5. Recht und Ordnung im Gorkhā-Staat

verfasst von : Stefan Lüder

Erschienen in: Staatsbildung und Legitimation im Himalaya

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Im historiografischen Narrativ der Rāṣṭrīya Itihās herrschte über Jahrzehnte der Konsens, die Zeit der Rāṇā-Dynastie zwischen 1846 und 1950 sei eine „dunkle Episode“ despotischer Willkürherrschaft illegitimer Usurpatoren. Erst ab den späten 1970er und vermehrt schließlich ab den 1980er Jahren wurden in den Geschichtswissenschaften vereinzelt Versuche unternommen, sich differenzierter und weniger wertend mit dieser Zeit auseinanderzusetzen. Dennoch beschränkten sich der Großteil der Publikationen auf Herrscherbiografien, eine deskriptive Ereignisgeschichte oder Themen wie Außen- und Innenpolitik, Verwaltung, Militär, Wirtschaft und Gesellschaft. In den folgenden Kapiteln steht daher die Frage im Fokus, ob sich die Rāṇā-Familie nach ihrer Machtübernahme auch einige Ideen und Praktiken der britischen Zivilisierungsmission aneigneten und für den eignen Machterhalt und -ausbau einsetzten.
Im historiografischen Narrativ der Rāṣṭrīya Itihās herrschte über Jahrzehnte der Konsens, die Zeit der Rāṇā-Dynastie zwischen 1846 und 1950 sei eine „dunkle Episode“ despotischer Willkürherrschaft illegitimer Usurpatoren. Erst ab den späten 1970er und vermehrt schließlich ab den 1980er Jahren wurden in den Geschichtswissenschaften vereinzelt Versuche unternommen, sich differenzierter und weniger wertend mit dieser Zeit auseinanderzusetzen. Dennoch beschränkten sich der Großteil der Publikationen auf Herrscherbiografien, eine deskriptive Ereignisgeschichte oder Themen wie Außen- und Innenpolitik, Verwaltung, Militär, Wirtschaft und Gesellschaft. Besonders viel Aufmerksamkeit wurde dabei der Suche nach den Ursachen für die Machtübernahme der Rāṇā-Familie und dem Ende ihrer Herrschaft geschenkt. Kontrovers wurde vor allem das Verhältnis der Rāṇās zu den Briten diskutiert. Allerdings blieben Fragen zu den Strategien der Herrschaftslegitimation lange Zeit außen vor.1
In den folgenden Kapiteln steht daher die Frage im Fokus, ob infolge der zunehmenden Verflechtungen der zentralen Himalaya Region mit den Regionalmächten Asiens und insbesondere der britischen Kolonialmacht in Südasien im Verlauf des 19. Jahrhunderts und dem Ende der Expansionsphase des entstehenden Gorkhā-Staates sich die Rāṇā-Familie nach ihrer Machtübernahme auch einige Ideen und Praktiken der britischen Zivilisierungsmission aneigneten und für den eignen Machterhalt und -ausbau einsetzten. Diesem Erkenntnisinteresse liegt die Annahme zugrunde, die Internalisierungs- und selektiven Aneignungsprozesse der Gorkhālī können als Form der Selbstzivilisierung im Sinne Osterhammels (2005) und Conrads (2005) verstanden werden. Versuchten auch die Eliten der Gorkhālī, wie auch die lokale Eliten Ägyptens, Japans, Chinas oder Südasiens, durch die Erhöhung der eigenen Zivilisiertheit einer möglichen Fremdbestimmung durch äußere Mächte zuvorzukommen und zugleich ihre Machtbasis mittels einer Effektivierung des Staatsapparates zu erweitern? Im Kern geht es also darum, mit Hilfe der epistemologischen Kategorie der Selbstzivilisierung, die Regionalgeschichte des zentralen Himalaya aus globalhistorischer Perspektive zu betrachten. Auf diese Weise soll einerseits ein Beitrag zur Erforschung der Staatsbildungsprozesse im zentralen Himalaya geleistet und andererseits die empirische Diversifizierung der historischen Legitimationsforschung weiter vorangetrieben werden.
Jürgen Osterhammel (2005b: 388) zufolge galten verschriftliche Rechtssysteme und das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit im 19. Jahrhundert als elementare Bestandteile europäischer Zivilisationsmodelle. Dieses Argument an anderer Stelle weiter ausführend legt Osterhammel dar: „The Victorian ‘standard of civilization’ developed the universal and evolutionary aspect of law: universal, because it defined […] a basic set of norms which, in sum, described what it meant to be a member of the ‘civilized world’.“ (Osterhammel 2006: 20). Insofern wurden kodifizierte Rechtssysteme und das Rechtstaatlichkeitsprinzip im 19. Jahrhundert zu zentralen Indikatoren für die Bestimmung des Grades der Zivilisiertheit von Staaten und Gesellschaften. Aber ebenso wie auch die vielen anderen Herrscher Südasiens wurden auch die Regierung und das Rechtssystem des Gorkhā Rāj Ende des 18. Jahrhunderts von den Briten als typische Form der „Orientalen Despotie“ wahrgenommen. So schrieb beispielsweise Kirkpatrick (1811):
The genius of a government unacquainted alike with the positive and implied restraints imposed by a precise, not to say immutable law or constitution, and taking its colour, for the most part, from the character and temporary views of the ruling individual, must necessarily be of too fugitive nature to admit of any delineation equally applicable to all periods and circumstances. Of this unsettled kind is the government not only of Nepaul, but perhaps of all the Asiatic countries. It is formally, and in a great degree essentially despotic; […]
(William C. Kirkpatrick 1811: 196)
Diese Wahrnehmung änderte sich auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht. Auch Buchanan-Hamilton bedient diese Darstellung und berichtet von den gewaltvollen Strafen der Gorkhālī im Detail:
The people of Gorkha have introduced other capital punishments, hanging and flaying alive. Women, as in all Hindu governments, are never put to death; but the punishments inflicted on them are abundantly severe. The most common is the cutting off their noses. Even those of considerable rank are tortured, by being smoked in a small chamber with the suffocating fumes of burning capsicum, and by having their private parts stuffed with this acrid substance.
(Francis Buchanan-Hamilton 1819: 103)
Basierend auf den Berichten des britischen Residenten in Kathmandu, gab es nach Ansicht der britischen Kolonialverwaltung im Gorkhā-Staat bis Mitte des 19. Jahrhunderts kein einheitlich kodifiziertes Rechtssystem. Stattdessen herrschte die Meinung vor, die Justiz der Gorkhālī funktioniere im Grunde auf Basis eines Gewohnheitsrechts und sei nur durch Willkür, religiöser Tradition und Brutalität gekennzeichnet. Mit Berufung auf ortsansässige Informanten schrieb beispielsweise der britische Resident Hodgson: „There is no code of laws, no written body of public enactments.“ (Hodgson 1857: 242).2 Diese Darstellung ist allerdings nicht korrekt. Obwohl es bis zu dieser Zeit noch kein einheitlich systematisiertes Rechtssystem nach europäischem Vorbild im Gorkhā-Staat gab, so existierte damals schon eine Rechtsprechung, die auf königlichen Erlassen, der śāstra-Literatur entlehnten Gesetzestexten und lokalen Gewohnheitsrechten basierte.3
Doch nach Machtübernahme der Rāṇā-Familie und noch deutlicher im Anschluss Jaṅga Bahāduras Europareise veränderte sich die Wahrnehmung der britischen Kolonialbeamten zusehends. Orfeur Cavenaugh, der die Delegation der Gorkhālī nach Europa begleitete hatte, bemerkte bereits direkt nach der Rückkehr: “The Code of Laws formerly administered in Nepal has been much modified and rendered more lenient by the present Minister […]” (Cavenagh 1851: 62). Ebenso attestiert Daniel Wright in der Einleitung seiner Landesgeschichte: “Justice is fairly administered, and the ‘law’s delays’ are by no means so great as in more civilized regions.” (Wright 1877: 70). Henry A. Oldfield, der zwischen 1850 und 1863 als Residenzarzt in Kathmandu gedient hatte, schreibt in seinen Memoiren anerkennend:
Since Jang’s return from England executions have become comparatively rare. Capital punishments are now confined to cases of murder and culpable homicide. He has greatly mitigated the severity of the criminal code; and has altogether done away with “mutilation” as a punishment.
(Henry A. Oldfield 1880: 244)
Worauf sich alle drei Europäer hier beziehen, ist der sogenannte Ain4. Mit dessen Inkraftsetzung 1854 veränderte sich das Rechtssystem und damit einhergehend auch die Legitimationsstrategien der neuen Eliten im Verlauf der Konsolidierung des Gorkhā-Staates grundlegend.5 Und um diese tiefgreifende Veränderungen besser verstehen und nachvollziehen zu können, ist ein genauerer Blick auf den Entstehungskontext des Ain unverzichtbar.
Wie schon die britischen Kolonialbeamten bemerkten, scheint es einen Zusammenhang zwischen der Europareise und dem Verfassen des Ain zu geben. Jaṅga Bahādura schuf direkt nach seiner Rückkehr nach Kathmandu im Frühjahr 1851 die gesetzgebende Institution des ain kausala („Gesetzes-Rat“) und beauftragte dessen Mitglieder mit der Erarbeitung eines ain kitāba („Gesetzesbuch). Das Gremium umfasste insgesamt 219 Mitglieder, die alle namentlich und mit ihren jeweiligen Amtsbezeichnungen am Ende der Präambel des Dokuments aufgelistet werden. Nach drei Jahren Arbeit wurde der Ain fertiggestellt und trat am 6. Januar 1854 in Kraft. Auf Grundlage der zeitlichen Korrelation zwischen der Europareise und der Entstehung des Ain hat sich in der historischen Erforschung des Dokumentes die These herauskristallisiert, Jaṅga Bahādura sei während seines Aufenthalts in Europa von der Idee eines landesweit einheitlichen Rechtkodexes, wie dem Code Civil (1804) und dem Code Pénal (1810) sowie den damaligen politischen Institutionen und dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit inspiriert worden.6 Die These wird auch von den Schilderungen im retrospektiven Reisebericht der Delegation der Gorkhālī gestützt. Insbesondere die parlamentarischen Prozesse und die Tatsache, dass auch die höchsten Amtsträger des Staates bei Fehlverhalten nicht vor Konsequenzen ausgenommen waren, hinterließ scheinbar einen bleibenden Eindruck bei den Besuchern:
There is no space for comicality in the sabhā (congregation). One speaks and is replied to by another. If the debate on this subject is over everyone says yes and signs. If the debate is not over (phālāphāl garī mūddā ṭhaharāi) a lot of books are looked at and answers given. The parment [sic] does not tolerate anybody’s misbehavior (berit). It can take revenge on the bādśāh. It can dismiss the prime minister who has misbehaved. It can take revenge on the commander-in-chief who has misbehaved […].
(Kamal Dixit 1964: 29; zitiert in englischer Übersetzung in Gyawali 2018: 21)
Dieser Entstehungskontext legt die Vermutung nahe, der Ain könnte eine der ersten Quellen für Projekte zur Selbstzivilisierung im zentralen Himalaya sein. Wie Axel Michaels (2021) mit Blick auf den aktuellen Stand der Forschung allerdings treffend auf den Punkt bringt: „The (Mulukī) Ain of 1854 […] is a book that is more quoted than understood.“ (2021: xv). Bislang gab es zwar Studien, in denen der historische Entstehungszusammenhang, der Aufbau und die Struktur, sowie vereinzelt auch inhaltliche Aspekte untersucht worden sind. Diese waren aber hauptsächlich geprägt von der Fixierung auf Konzepte ritueller Reinheit und definierten die willkürliche Machtausübung zum zentralen Wesensmerkmal des Rechtssystems im Gorkhā-Staat des 19. Jahrhunderts.7 Darüber hinaus gab es lange Zeit nur sehr wenige Artikel des Ain in Übersetzung und aufgrund dessen wurde unter anderem die Frage nach Hinweisen auf die Legitimationsstrategien weder gestellt noch beantwortet. Glücklicherweise haben sich Khatiwoda, Cubelic und Michaels (2021) dieser sehr arbeitsintensiven Aufgabe angenommen und mit ihrer vollständigen Übersetzung allen künftigen Forschungsgenerationen einen nachhaltigen Dienst erwiesen. Auf dieser bedeutenden Leistung aufbauend konnten nun auch die Inhalte des Ain auf die Fragestellung dieses Buches hin analysiert und interpretiert werden.

5.1 Der Ain – Eine kurze Einführung

Zu Beginn ist es zunächst wichtig die etwas problematische Quellenlage zum Ain zu erläutern. Ein Manuskript des ersten Ains von 1854 ist bis heute nicht gefunden worden. Aber es gibt eine Reihe von Editionen, die sich auf die originale Version beziehen. Die Version des Ains (A1), die auch Khatiwoda, Cubelic und Michaels (2021) als Ausgangspunkt für ihre Übersetzung nutzten, wurde 1965 vom Justizministerium der Regierung Nepals veröffentlicht, umfasst insgesamt 163 Kapitel auf 712 Seiten. Diese Version basiert auf einem Manuskript, das zwischen 1865 und 1867 verfasst wurde und beinhaltet entsprechend alle Änderungen und Ergänzungen bis 1867.8 Darüber hinaus existieren aber noch einige andere Ausgaben des Ain. Eine Version (A2) wurde von Jean Fezas (2000) zusammengestellt und in zwei Bänden veröffentlicht. Diese basiert wiederum auf verschiedenen Manuskripten aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die im Nationalarchiv Nepals eingelagert sind und ebenfalls bei der Übersetzung mitberücksichtigt wurden.9 Ebenso sind Versionen mit umfangreichen Ergänzungen erhalten geblieben und in der Übersetzung mit einbezogen worden, wie ein Ain von 1870 (A3) und einer von 1888 (A4).10 Und auch noch im 20. Jahrhundert wurde der Ain kontinuierlich ergänzt und verändert. Deshalb sind heute auch noch Versionen von 1935 (A5) und von 1965 (A6) erhalten.11
Nach eigenen Angaben griffen die Autoren beim Verfassen des Ain dabei auf drei unterschiedliche Quellen zurück. Sie kombinierten brahmanische Rechtsvorstellungen der śāstra-Literatur mit bereits bestehende rechtliche Verordnungen und verschiedenen lokalen Gewohnheitsrechten.12 Der Einfluss der Reise Jaṅga Bahāduras nach Europa und die Auseinandersetzung mit der staatlichen Administration, den politischen Institutionen und deren Funktionsweisen in England und Frankreich bleibt allerdings von den Autoren des Ain selbst unerwähnt, obwohl der gewählte Rahmen eines verschriftlichen Rechtkodizes diese Zusammenhänge zumindest implizit erkennen lässt. Thematisch deckt der Ain ein sehr weitreichendes und vielfältiges Spektrum ab. Der von Khatiwoda, Cubelic und Michaels (2021: 12–15) erarbeiteten Struktur folgend, lassen sich die Artikel des Ain folgendermaßen einteilen. In der Präambel und drei weiteren Artikeln wird als Grundlage eine Art Staatsrecht definiert, welche die Rolle und Funktionen der gesetzgebende Entität (ain kausala), des Königs und seines Hofes (§ 0.1, 0.2) sowie das Verhältnis zu bestimmten Landesteilen festlegen (§ 165). In insgesamt 63 Artikeln werden zivilrechtliche Gesetze im Zusammenhang mit soziokulturellen Identitätskategorien (varṇa, jāt und thara), Prinzipien ritueller Reinheit und Verunreinigung sowie Verwandtschafts- und Familienverhältnisse geregelt. Konkret geht es dabei geht es um Themen wie Adoption (§ 29), Alkoholkonsum und Unberührbarkeit (§ 87) oder Hochzeit und Scheidung (§ 99–103, 24, 144). Das Regulierungsbedürfnis des Staates erstreckt sich in bemerkenswerten Ausmaß auch auf die sexuellen Aktivitäten der Bevölkerung (§ 104–160).
Das Strafrecht umfasst 23 Artikel in denen Straftatbestände wie beispielsweise Körperverletzung und Missbrauch (§ 56–57), Mord (§ 64), Brandstiftung (§ 73), aber auch eher kuriose Vergehen wie öffentliche Flatulenzen (§ 61) oder Spucken (§ 62) beschrieben und die entsprechenden Bestrafungen definiert werden. Weitere 17 Artikel sind dem Prozessrecht und dem Strafvollzug gewidmet. Es werden der Ablauf juristischer Verfahren (§ 35), der Umgang mit Geständnissen (§ 37) aber auch Fragen der Verjährung von Straftaten (§ 47) und Möglichkeiten zur Beschwerde und Revision (§ 45) festgeschrieben. Ein weiterer Themenkomplex behandelt verschiedenen Fragen der Sklaverei, Leibeigenschaft und Zwangsarbeit in 13 Artikeln, wie beispielsweise den Verkauf von Sklaven (§ 81), das sexuelle Verhältnis zu Sklaven, Leibeigenen und Bediensteten (§ 161–162) oder das Ehelichen von Sklavinnen (§ 129). Insgesamt 24 Artikel regulieren Landbesitzverhältnisse (§ 1–2, 14–20), die Beziehung zwischen Landeigentümern und Pachtenden (§ 3–4) sowie Eigentumsrechte (§ 22–23, 24–28, 43, 70, 78). Die verbleibenden 18 Artikel sind Themen des öffentlichen, administrativen und justiziellen Rechts gewidmet und regeln beispielsweise einheitliche Währungs- und Gewichtseinheiten (§ 30), das Baurecht (§ 76), den Verkehr mit besonderem Fokus auf Pferde und Elefanten (§ 72), sowie die Ernennung und Entlassung von Beamten (§ 13) oder das Vorgehen bei Streitigkeiten zwischen Gerichten und lokalen Funktionären (§ 46).

5.2 Effektivierung des Staatsapparates

Anknüpfend an die theoretischen Überlegungen zu Staatsbildungsprozessen und der Rolle kodifizierter Rechtssysteme von Jessop (2016) lässt sich feststellen, dass einheitliche Rechtkodizes und das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit im westlichen Europa des 19. Jahrhunderts nicht nur als Indikator für den Grad der Zivilisiertheit von Staaten und Gesellschaften galten. Sie waren zudem unzertrennlich mit den damaligen Staatsbildungsprozessen verknüpft. Insofern lässt sich auch der Ain als ein elementarer Bestandteil des Entstehungsprozesses des Gorkhā-Staates verstehen. Die damit einhergehende Effektivierung des Staatsapparates zur Ausweitung der Macht der herrschenden Eliten ist Osterhammel (2005: 393) eine der drei entscheidenden Komponenten für die Entstehung einer Idee von Selbstzivilisierung.
Die Motivation der herrschenden Eliten des entstehenden Gorkhā-Staates durch die vereinheitlichende Kodifizierung des Rechtssystems und die Einführung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips den eigenen Staatsapparat zu effektivieren wird auch bereits in der Präambel des Ain deutlich:
Since there have been dissimilarities in punishment imposed in [lawsuits] with the same particulars until today, therefore, in order to achieve uniformity of punishment in accordance with the crime committed, this is the Ain prepared (…). All officials, including the venerable prime minister, shall carry out their duties in accordance with this Ain.
(Ain, Präambel, S. 2)13
Khatiwoda, Cubelic und Michaels (2021: 22–24) argumentieren, der Ain sei ein Beleg für zwei unterschiedliche und sich dennoch wechselseitig beeinflussende Strategien der Staatsbildung. Auf der einen Seite wurde der Versuch unternommen einen bürokratische Elite zu institutionalisieren, die autonom von der übrigen Bevölkerung eigene Normen etablierte und ihre Interessen verfolgte. Andererseits wurde versucht mit Hilfe des Ains die Autorität eines breiten Spektrums gesellschaftlicher Gruppen und Akteure zu kooptieren, um sie in das kodifizierte Rechtssystem und damit letztlich in die Staatsbildungsprozesse zu integrieren. Der Ain funktioniert demnach stets im Spannungsbogen zwischen elitärer Abgrenzung und gesamtgesellschaftlicher Integration. Diese reziproken Strategien zur Staatsbildung werden bei genauerer Betrachtung der im Ain ergriffen Maßnahmen erkennbar.
Im Ain wurden für alle Ämter und Beamten rechtliche Rahmenbedingungen definiert, die sogar den Monarchen und Premierminister miteinschlossen. Wer diesen Rahmenbedingungen zuwider handelte, riskierte das Amt zu verlieren (§ 0.1.34). Darüber hinaus wurde auch die Nachfolge für den König (§§ 0.1.1–11; 17) sowie das Amt des Premierministers (§ 0.1.26) im Ain festgelegt, um eine friedliche Machtübergabe zu garantieren. Aus Perspektive der Weberschen Legitimationstypologie zielten diese Maßnahmen zur Institutionalisierung von Herrschaft darauf ab, die bis dahin dominierenden charismatischen und traditionalen Legitimationsbegründungen durch die Einführung einer rationalen Begründung in Form einer institutionalisierten Legalität des Herrschaftsanspruchs zu ersetzen.
Auch gibt es im Ain erste erkennbare Schritte in Richtung einer Institutionalisierung der Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative. Beispielsweise konnten der Präambel zufolge Änderung oder Ergänzung des Ain weder König noch Premierminister oder andere Amtsträger ohne die Zustimmung des gesetzgebenden ain kausala vornehmen. Zudem war es sowohl König als auch Premierminister untersagt die Rechtsprechung der Judikative zu beeinflussen (§ 45.2) oder zu manipulieren (§ 0.2.16). Die Urteilsfindung sollte ausschließlich auf Grundlage der Regularien des Ain stattfinden. Und falls dies nicht möglich war, sollte das ain kausala die unzureichende Gesetzgebung entsprechend ergänzen (§§ 35.11–12).
Zwar blieb der Gorkhā-Staat auch nach der Machtübernahme Jaṅga Bahāduras formell ein Königreich, aber die Rechte der königlichen Familie wurden im Ain erheblich eingegrenzt. Im gesamten Ain ist das Amt des Premierministers in seinen Kompetenzen stets dem Monarchen übergeordnet. Wenn der König sich beispielsweise unaufgefordert in die außenpolitischen Beziehungen zu den Briten in Südasien oder dem Qing-Kaiserreich einmischte oder sich in irgendeiner Form an aufrührerischer Aktivitäten beteiligte, konnte er vom Premierminister entthront werden (§ 0.1.17). Auch im Falle von schweren psychischen oder physischen Krankheiten hatte der Premierminister dieses Recht (§ 0.1.24). Zwar blieb dem König ein besonderes Begnadigungsrecht vorbehalten, aber im Prinzip war es nur ein Vorschlagsrecht, denn eine königliche Begnadigungen benötigte die Zustimmung des ain kausala (§ 0.1.20). Außerdem war es dem Premierminister und dem höchsten religiösen Amtsträger des Gorkhā-Staates, dem rājaguru, gestattet den Monarchen wegen Fehlverhaltens offiziell zu tadeln (§ 0.1.21). Der königliche Familie wurden auch weiterhin einige Sonderrechte zugestanden und sie blieben von der Vollstreckung der Todesstrafe ausgenommen. Im Unterschied dazu drohte dem Premierminister im Falle des Versuchs den Thron zu usurpieren oder Hochverrat zu begehen die Hinrichtung (§ 0.1.30).
Im Ain finden sich zudem gesetzliche Regularien, in denen eine Art Staatsraison definiert wird. Essenziell für die Existenz eines unabhängigen Gorkhā-Staates war der Erhalt eines guten Verhältnisses zu beiden angrenzenden Regionalmächten, der britischen Kolonialverwaltung in Südasien und dem Qing-Kaiserreich. Deshalb wurde die freundliche Beziehung zu beiden Mächten im Ain zur Direktive der Außenpolitik und entsprechend in mehreren Artikeln verankert. Dem König drohte die Absetzung sollte er Befehle erteilen, die gegen eines der Abkommen mit den Briten oder dem Qing-Kaiser verstoßen (§ 0.1.17) oder wenn er Land an Menschen veräußerte, die außerhalb des Gorkhā-Staates lebten und dadurch die territoriale Integrität und Souveränität gefährdete (§ 0.1.34). Auch allen übrigen Mitgliedern der administrativen und militärischen Elite sowie der allgemeinen Bevölkerung war es unter Androhung der Todesstrafe untersagt, das Leben des britischen Residenten oder der kaiserlichen Amban zu gefährden (§ 0.2.6). Ebenso drohte staatlichen Beamten für das Verursachen von Verstimmungen in den Beziehungen zu den Briten oder dem Qing-Kaiser die sofortige Amtsenthebung und je nach Schwere des Vergehens auch bis zu zwölf Jahre Haft. Selbst Betrugsdelikte an britischen oder chinesischen Händlern konnten mit bis zu sechs Jahre Haft bestraft werden (§ 0.2.10).
Aber nicht nur die Wahrung der eigenen territoriale Integrität und Souveränität, sondern auch die Anerkennung dieser konstituierenden Elemente anderer Staaten wurden in der Gesetzgebung des Ain berücksichtigt. Beispielsweise waren britische Residenten und chinesische Amban von der Strafverfolgung durch die Justiz des Gorkhā-Staates ausgenommen, wenn sie selbst die Straftaten begingen. Sie genossen demnach diplomatische Immunität gegenüber den Strafverfolgungsbehörden der Gorkhālī (§ 0.2.17). Dieses Sonderrecht erstreckten sich aber nicht nur auf die Person des Repräsentanten, sondern schloss auch das Gelände der Residenz mit ein. Den britischen Residenten und chinesischen Amban wurde zudem das Recht auf ihre jeweils eigene Strafverfolgung zuerkannt, falls sich das Verbrechen innerhalb der Grenzen der Residenzen ereignete. Im Ain wurde also die Extraterritorialität der Residenzen anerkannt (§ 0.2.18). Ebenso gab es Auslieferungsregelungen im Ain, denen zufolge Untertanen des Gorkhā-Staates im Falle einer Verurteilung für Straftaten wie Mord, Betrug oder Diebstahl außerhalb des eigenen Landes, an den jeweiligen Staat zur Vollstreckung des Urteils ausliefert wurden (§§ 30.15, 68.23).
Die Autoren des Ain waren außerdem darum bemüht dem entstehenden Gorkhā-Staat in bis dahin noch nicht dagewesenen Maße Zugang zu natürlichen Ressourcen zu sichern. Dazu wurde es beispielsweise verboten Ländereien, die für die Versorgung staatlicher Beamter und Militärs bestimmt waren (jāgira) für anderweitige Pachtkategorien für Privatpersonen oder religiöse Organisationen (u. a. guṭhī oder birtā) zu verwenden. Für Zuwiderhandlungen musste ein Jahr der landwirtschaftlichen Produktion als Strafe gezahlt und das Land zurückgegeben werden (§ 2.58). Dem Premierminister und auch allen anderen Ministern war es explizit untersagt, sich auf Kosten des Staates zu bereichern, indem sie beispielsweise die ihnen zuerkannten Ländereien in möglichst viele Parzellen aufteilten, um so die eigenen Pachteinnahmen zu erhöhen. Ebenso sollten die Minister keinen Zugriff auf die Staatseinnahmen haben, um sich auf Kosten der Bevölkerung selbst bereichern zu können (§ 6.1). Zusätzlich wurden umfangreiche Regularien zur Steuereintreibung erlassen, um die Einnahmen des Staates insgesamt zu erhöhen (§ 6 – 10). Doch trotz dieser umfangreichen Maßnahmen wussten Jaṅga Bahādura und die Rāṇā-Familie sich selbst dennoch einige Sonderrechte einzuräumen, um den eignen Wohlstand mehren zu können. So war es beispielsweise dem Premierminister sowie seinen Brüdern und Söhnen ausdrücklich gestattet sich mit der Zustimmung des Monarchen selbst Ländereien für die Eroberung neuer Gebiete als steuerbefreite birtā-Pacht anzueignen (§ 0.2.12).
Eine besonders wichtige Maßnahme zur Effektivierung des Staates und der Machtausübung im Ain war die Schaffung eines hierarchisierten, entpersonalisierten und routinierten Verwaltungsapparates. Es wurden wohldurchdachte Überwachungs- und Kontrollmechanismen entwickelt, um Zweckentfremdung und Veruntreuung staatlicher Ressourcen zu verhindern sowie Machtmissbrauch, Korruption und Nepotismus zu unterbinden. Die Beamten des mulukīkhānā („Staatskasse“) waren beispielsweise angewiesen nur Steuern auf Grundlage der jeweiligen Vertragsunterlagen einzutreiben. Sollten sie aufgrund von Fahrlässigkeit oder unlauterer Begünstigung andere Beträge eintreiben, mussten sie eine angemessenen Geldstrafe zahlen (§ 8.10). Auch den lokalen, steuereintreibenden Landeigentümern drohte diese Strafe, wenn sie nicht den exakten Steuerbetrag der entsprechenden Pachtvereinbarung eintrieben (§ 9.6). Beamte, die inhaftierte Schuldner aufgrund von Bestechung, Begünstigung oder Nachlässigkeit entkommen ließen, mussten für dessen Schulden haften (§ 9.7).
Auch im Zusammenhang des Strafrechts wurden diese Überwachungs- und Kontrollmechanismen eingeführt. So drohte staatlichen Beamten für das Erzwingen von strafrechtlich relevanten Geständnissen nicht nur die sofortige Amtsenthebung und Enteignung, sondern zusätzlich noch die gleiche Strafe, mit der auch unschuldige Geständige bestraft worden waren. Im Extremfall einer bereits vollstreckten Todesstrafe konnten also auch die für das erzwungene Geständnis verantwortlichen Beamten hingerichtet werden (§ 37.7). Und auch bei Anstiftung zur Falschaussage sowie Bestechlichkeit oder Begünstigung bei der Strafermittlung drohte Beamten die sofortige Amtsenthebung und bis zu sechs Jahre Haft (§ 37.6). Sollten Amtsträger Strafgefangene aufgrund von Bestechung oder Begünstigung zur Flucht verhelfen, drohten Geldstrafen in Abhängigkeit von der Schwere der Straftat des Gefangenen und ob dieser zu einem späteren Zeitpunkt erneut festgesetzt werden konnte. Bei Nichtzahlung der Geldstrafe drohte den Beamten selbst auch eine entsprechende Haftstrafe (§§ 40.13, 50.9).
Diese Maßnahmen fanden aber nicht nur in finanz- oder strafrechtlicher Fragen, sondern auch im Zivil- und Verfahrensrecht Anwendung. Sollten beispielsweise Beamte bei Sexualvergehen aufgrund von Bestechlichkeit oder Begünstigung nicht ermitteln, drohte ihnen eine Geldstrafe (§ 39.14). Wenn Beamte nachweislich ein Gerichtsurteil abänderten, konnten sie ebenfalls mit einer Geldstrafe sanktioniert werden, die höher ausfiel, wenn sich Bestechlichkeit, Voreingenommenheit oder Begünstigung als Motivation nachweisen ließen (§ 45.17). Sogar die unzureichende Ermittlung von Tatumständen durch Justizbeamte wurde strafrechtlich verfolgt, wenn den Beamten Begünstigung oder Voreingenommenheit nachgewiesen werden konnte. Sollte ihnen allerdings nur ein Fehler unterlaufen sein, wurden die Beamten mit einer geringen Geldstrafe belangt, das Gerichtsverfahren für ungültig erklärt und anschließend neu aufgerollt (§ 48.22).
Doch im Gegensatz zu den Bemühungen der Autoren des Ain, die staatliche Administration zu entpersonalisieren, um Machtmissbrauch und Korruption entgegenzuwirken, wurde bestimmten Personengruppen dennoch sehr viel Autonomie zugestanden. Sollte beispielsweise den Pächtern von steuerbefreiten Ländereien eine Straftat angezeigt werden, konnten diese bei geringfügigen Vergehen selbst als Gericht zu fungieren und auch in Übereinstimmung mit den Gesetzen des Ain rechtsprechen (§ 45.1). Ebenso konnte ein lokaler pañca („Ältestenrat“) als Institution von übergeordneten Instanzen der Administration anerkannt und autorisiert werden in justiziellen Verfahren oder kommerziellen Transaktionen staatliche Funktionen zu übernehmen (§§ 35.16, 18.1). Und ein Haushaltsvorstand hatte das Recht, disziplinäre Maßnahmen gegenüber eigenen Familienmitgliedern, Bediensteten, Sklaven und Leibeigenen auszuüben, ohne selbst für dabei begangene Straftaten zur Rechenschaft gezogen werden zu können (§§ 59, 80.7, 80.11).
Neben dieser spezifischen Gesetzgebung wurden im Ain auch abstraktere Ideen zur Effektivierung des Staatsapparates formuliert, wie die Definition eines Staates, mit einem zusammenhängenden staatlichen Territorium, einer Regierung, einer eigenen Bevölkerung und einem zugrundeliegenden Ethos. Die geografische Ausdehnung des Gorkhā-Staates wurde im Ain häufig mit der vagen Formulierung „östlich des Mahākālī Flusses und westlich des Mecī Flusses, in madhesa („Flachland“) und dem pahāḍa („Hügelland“)“ beschrieben, die offensichtlich viel Interpretationsspielraum zuließ (z. B. § 6.1). Und in einigen Artikeln gingen die Autoren des Ain sogar noch einen Schritt weiter und beanspruchten die Zuständigkeit für Rechtsprechung und Gerichtsbarkeit in außerhalb des eigenen Territoriums liegenden Teile der Ganges-Ebene und Tibets (§ 35.23). Die territoriale Zusammengehörigkeit des Gorkhā-Staates wird im wiederum durch die Anerkennung der Souveränität der angrenzenden politischen Entitäten zum Ausdruck gebracht, wie beispielsweise in dem bereits erwähnten Verbot Land an Untertanen anderer Staaten zu veräußern deutlich wird (§ 0.1.34). Doch wie Khatiwoda, Cubelic und Michaels (2021: 26) anmerken, wurde staatliches Territorium im Ain nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich definiert. Klar erkennbar wird diese temporale Dimension des Staatsterritoriums im § 7.14, in dem detailliert aufgelistet wurde, wie lange es dauern durfte, bestimmte Verwaltungsdokumente von ihrem Ursprungsort bis ins Kathmandu-Tal zu transportieren.
Die auf diese Weise ausgedrückte Zusammengehörigkeit des staatlichen Territoriums im Ain implizierte allerdings nicht zugleich die Einheitlichkeit des Rechtssystems in allen Landesteilen. Tatsächlich gab es für unterschiedlichen Teilgebiete innerhalb des Territoriums auch verschiedene Sonderregelungen. Beispielsweise ist im Ain klar festgelegt, dass im Madhesa bei minderschweren Straftaten und zivilrechtlichen Fragen stets das lokale Gewohnheitsrecht zur Anwendung kommen sollte, solange diese nicht im direkten Widerspruch zu den Gesetzen des Ain stünden (§ 165.2). Für die Städte des Kathmandu-Tals gab es hingegen umfangreiche Bauvorschriften, die in den anderen Landesteilen keine Gültigkeit hatten (§ 76). Die rechtliche Anerkennung von guṭhī-Ländereien kann Khatiwoda, Cubelic und Michaels (2021: 27) zufolge als Versuch verstanden werden, Vorstellungen von übernatürlicher Räumlichkeit und einer sakralen Topografie in das Territorialverständnis des entstehenden Gorkhā-Staates zu integrieren (§ 1). Diese Pluralität der Gesetzgebung und Rechtsprechung diente vor allem der territorialen und justiziellen Integration, insbesondere der Grenzregionen in das staatliche Territorium und sollte der mitunter stark ausgeprägten regionalen und lokalen Heterogenität Rechnung tragen.
Ähnlich vage wie die Definition des Staatsterritoriums ist im Ain auch die Idee eines Gorkhā-Staates im Allgemeinen gehalten. Die Autoren des Ain verwenden eine Reihe von Begrifflichkeiten zur Bezeichnung des Staatsgebildes, die aber kontextspezifisch unterschiedlich Konnotationen innehaben. Während die Termini rāja und rājya sanskritischen Ursprungs sind und deutlich die konstituierende Funktion des Monarchen implizieren, sind sarkāra, muluka and ḍhuṅgā weitaus ambivalenter und lassen verschiedene Übersetzungen und Deutungen zu. Sarkāra ist etymologisch betrachtet vom persischen sarkár übernommen worden und wird im Persischen allgemein mit „Regierung“ übersetzt. Dahingegen verwendeten die Autoren des Ain sarkāra synonym sowohl als Bezeichnung für die Regierung (§§ 27.12, 89.6) als auch für den König (§§ 0.1.26, 15.6, 89.4), manchmal in Verbindung mit dem Possessivpronomen hāmrā. Diese Ergänzung fügt eine zusätzliche Ebene der Ambivalenz hinzu, da hāmrā sowohl mit „unser“, aber auch mit „mein“ als Form des königlichen Plurals übersetzt werden kann. Und anhand des Textes lässt sich nicht genau bestimmen, welche Bedeutung von den Autoren des Ain in den jeweiligen Gesetzesparagrafen intendiert war, auf wen sich das Pronomen bezieht und wo demnach das Zentrum politischer Macht im Gorkhā-Staat zu verorten ist. Ebenso verhält es sich mit muluka, welches aus dem Arabischen übernommen und bereits seit dem 18. Jahrhundert in Verwaltungsdokumenten als Terminus für die territorialen Besitztümer des Königs verwendet wurde.14 Im Ain erfährt dieser Begriff eine Bedeutungserweiterung und taucht auch als Bezeichnung für ein einheitliches Staatsterritorium auf, über welches die Regierung Macht ausübt (§ 6.11). Die Verwendung von muluka in Kombination mit dem besitzanzeigenden hāmrā erhöht ebenfalls die Ambivalenz dieses Begriffs.15 In einigen Artikeln des Ain wurde darüber hinaus auch noch mit dem Begriff ḍhuṅgā operiert (z. B. § 0.2.6). Während dieser im 18. Jahrhundert, wie im vorherigen Kapitel bereits erläutert, als Bezeichnung der angrenzenden Regionalmächte vorbehalten war, scheinen die Autoren des Ain ihren eigenen Staat nicht länger als „Yamswurzel (tarul) zwischen zwei Felsen (ḍhuṅgā)“ (upadeś: 5) zu verstehen, welcher das geopolitische Machtgefüge Asiens stabilisiert. Vielmehr begreifen sie ihre seitdem geschaffene politische Entität nun selbst als ḍhuṅgo und beanspruchen damit implizit dessen Anerkennung als eine gleichwertige Macht in der geopolitischen Ordnung Asiens.
Die im Ain enthaltene Unterscheidung, wer zur Bevölkerung des Gorkhā-Staates gehört und wer nicht, basiert auf dem Wohnort, der Loyalität der Person gegenüber Staat und Regierung sowie dem individuellen Zugehörigkeitsgefühl basierend auf einem gemeinsamen Ethos. Die erste zentrale Voraussetzung zur Zugehörigkeit ist die Notwendigkeit innerhalb des staatlichen Territoriums zu leben. So war es zum Beispiel ausschließlich diesen Personen gestattet Land zu erwerben oder zu verpachten (§ 0.1.34). Sogar bei bestimmten religiösen Minderheiten wie beispielsweise Muslimen wurde unterschieden zwischen jenen, die innerhalb und jenen, die außerhalb des definierten Staatsterritoriums lebten (§ 159.8). Als Zweites wurde von allen Teilen der Bevölkerung erwartet sich gegenüber Staat und Regierung loyal zu verhalten, worauf die Existenz bestimmter Straftatbestände wie Anstiftung zum Aufruhr, Störung der Ordnung und Landesverrat hindeuten (§§ 0.2.5–6, 0.2.8, 0.2.10). Die dritte Komponente war das Zugehörigkeitsgefühl zur Vision des Staates als „einzig verbliebenes Hindu Königreich im Kali-Zeitalter“ (§ 1.1). Dadurch wurde im Ain ein exzeptionalistisches Selbstverständnis in Abgrenzung zu den anderen Herrschafts- und Zivilisationsmodellen Asiens etabliert auf dessen Grundlage sich die herrschenden Eliten der Gorkhālī als einzige Bewahrer und Beschützer hinduistischer Normen und Werte vor den äußeren Feinden zu stilisieren und damit letztlich ihren Herrschaftsanspruch zu legitimieren versuchten.16
Zusammenfassend lässt der im Ain vergegenwärtigte Staatsapparat und die abstrakte Idee eines Staates als institutionalisierter Kompromiss zwischen den verschiedenen, nicht selten widersprüchlichen, politischen und gesellschaftlichen Bestrebungen einer Vielzahl von Akteuren interpretieren. Der Gorkhā-Staat war Mitte des 19. Jahrhunderts zwar weiterhin formell eine Monarchie, aber mit einem Monarchen ohne tatsächliche Machtbefugnisse. Diese konzentrierten sich stattdessen auf den Premierminister. Diesem war wiederum sehr daran gelegen, nach außen hin den Eindruck zu vermeiden, es handele sich um eine autokratische Despotie, da seine Macht durch die Gesetze des Ain zumindest in der Theorie eingeschränkt war. Gestützt wurde diese Ordnung durch eine feudale Landbesitz- sowie politisch-administrative Elite, die ihrerseits bemüht war, die eigenen Privilegien durch eine für sie vorteilhafte Gesetzgebung zu bewahren. Gemeinsam erhofften sich all diese Akteure, die mittels des Ain vorangetriebene Institutionalisierung einer vereinheitlichten Rechtsprechung und der damit einhergehenden Effektivierung des Staatsapparates würde von den herrschenden Eliten anderer Staaten auch als Symbol verstanden, dass die Eliten des Gorkhā-Staates imstande waren, sich selbst zu zivilisieren. Im Ain wird insofern der Versuch erkennbar durch die Legitimation der Legalität die eigene Machtbasis auszuweiten und zugleich einer möglichen Fremdbestimmung zuvorkommen.

5.3 Institutionalisierung einer hierarchisierten Gesellschaftsordnung

Die jahrtausendealte und über die gesamte Welt verbreitete Idee, bestimmte Gruppen von Menschen seien anderen Gruppen gegenüber überlegen und diese angenommene Höherwertigkeit der einen Gruppe legitimiere daher deren Herrschaftsanspruch über die als minderwertig befundenen Gruppe, war nicht nur ein Kernelement europäischer Zivilisierungsmissionen. Wie im zweiten Kapitel kurz erläutert, gibt es auch in den Sprachen des zentralen Himalayas einige Indizien, wie beispielsweise die aus dem Sanskrit entlehnte Unterscheidung zwischen sabhya („zivilisiert“) und asabhya („unzivilisiert“), die auf die Existenz einer solchen Vorstellung lange vor dem Beginn der europäischen Expansion in Asien hindeuten. Allerdings erreicht der Zivilisierungsgedanke bis ins 19. Jahrhundert eine ganz neue Qualität und entfaltet eine bis dahin nicht dagewesene Wirkmacht. Die europäischen Mächte wussten dichotome Differenzkonstrukte mit inhärentem Machtgefälle auf Basis kultureller Marker und eine darauf aufbauende Hierarchisierung der gesellschaftlichen Ordnung über lange Zeit als besonders wirkmächtiges Instrument der Herrschaftslegitimation nicht nur in ihren Kolonien in aller Welt, sondern nicht selten auch im eigenen Land für sich zu nutzen. Über die Jahre veränderten sich ab und an die kulturellen Marker oder binären Differenzkategorienpaare, aber das implizierte Grundprinzip von divide et impera blieb eine Konstante ihrer proklamierten Zivilisierungsmissionen. Das zeigt sich unter anderem sehr deutlich am Beispiel Südasiens und der Instrumentalisierung der Klassifizierung und Hierarchisierung der Gesellschaften der Region auf Basis von „Kasten“, die im Verlauf der britischen Expansion zu einem bedeutenden Element der Legitimationsbemühungen der britischen Kolonialherrschaft und ihrer Zivilisierungsmissionen wurde.17
Auch im zentralen Himalaya gab es bereits in der formativen und expansiven Phase der Staatsbildung die auf einer brahmanisch geprägten Auslegung des Hindu Dharma und den daraus abgeleiteten Prinzipen von Reinheit und Unreinheit basierende, grundlegende Dichotomie zwischen den als höherwertigen tāgādhārī („Tragende der heiligen Schnur“) und den entsprechend minderwertigen „nicht-tāgādhārī“. Da sich aber noch Mitte des 19. Jahrhunderts ein nicht zu vernachlässigender Anteil der besonders heterogenen Bevölkerung innerhalb des von den Gorkhālī kontrollierten Territoriums nicht mit den Werten und Normen einer brahmanischen Gesellschaftsordnung identifizierte, stellte die Autoren des Ain vor ein Problem. Um dennoch einen möglichst großen Teil der kulturell sehr heterogenen Bevölkerung in das konstruierte gesellschaftliche Ordnungssystem integrieren zu können, differenzierten die Autoren des Ain die Unterscheidungskategorien durch zahlreiche Subkategorien immer weiter aus. Anschließend wurden diese anhand von kulturellen Markern in einer übergreifenden sozialen Hierarchie zusammengeführt und positioniert.
Innerhalb dieser hierarchisierten Gesellschaftsordnung wurde grundsätzlich zwischen fünf Hauptkategorien unterschieden (siehe Abb. 5.1). An der Spitze standen mit dem höchsten Grad der Reinheit die tāgādhārī. Dazu gehörten jene Gruppen, die aus dem zentralen Hügelland des Himalayas, also dem Kernland des vormaligen Kleinkönigtum des Gorkhā Rājya stammten und sich selbst mit den Identitätskategorien des brahmanischen varṇa-Schemas von brāhmana und kṣatriya identifizieren. Die tāgādhārī waren also in erster Linie Gruppen, die sich selbst als kulturell im Hindu Dharma verwurzelt verstanden und schon seit längerer Zeit zu den Eliten der Gorkhālī gehörten. Diesen untergeordnet waren die namāsinyā matuvālī („nicht zu versklavende Alkoholtrinkende“), zu denen hauptsächlich ortsansässige Subgruppierungen aus dem zentralen Hügelland gehörten, die zwar außerhalb des varṇa-Schemas den jāt-Identitätskategorien zugerechnet wurden, aber bereits in der formativen und expansiven Phase der Staatsbildung in Militär und Verwaltung der Gorkhālī dienten. Die in der Gesellschaftsordnung des Ain eine Stufe darunter positionierte Kategorie war die māsinyā matuvālī („zu versklavende Alkoholtrinkende“), die zahlreiche Gruppen aus den nördlichen Hochgebirgsregionen oder dem südlichen Flachland umfasste. Die vorletzte Stufe der Hierarchie waren die pāni nacalnyā choi chiṭo hālnuna parnyā („Jene deren Wasser nicht akzeptiert, die aber berührt werden dürfen“), womit entweder Gruppen bezeichnet wurden, die entweder Berufe mit niedrigem Ansehen ausübten oder Muslime und Menschen aus Europa. Die unterste Ebene bildeten die pāni nacalnyā choi chiṭo hālnu parnyā („Jene deren Wasser nicht akzeptiert und die nicht berührt werden dürfen“).
Anhand dieser idealtypischen Gesellschaftsordnung des Ain lassen sich zunächst deutliche Parallelen zu Konzept der »Stufenleiter der Zivilisiertheit« europäischer Kolonialmächte erkennen, die stets integraler Bestandteil ihrer Zivilisierungsmissionen waren.18 Ebenso wie herrschenden Eliten Europas, vermochten es auch die Eliten des entstehenden Gorkhā-Staates mittels des Ain eine fundamentale Differenz zwischen sich und der von ihnen beherrschten Bevölkerung zu etablieren. Innerhalb der zentralen Dichotomie „tāgādhārī / nicht-tāgādhārī“ erdachte die Urheber des Ain weitere Subkategorien und konstruierten eine hierarchische Ordnung, an dessen oberster Stelle sie sich selbst positionierten. Insofern ließe sich diese Hierarchie auch als »Gorkhālī Stufenleiter der Zivilisiertheit« interpretieren, die auf einem regionalspezifischen Ethos basiert und in der die tāgādhārī als implizit Referenz für alle anderen gesellschaftlichen Gruppen, oder als „zivilisatorisches Maß“ in der idealtypischen Gesellschaftsordnung des Gorkhā-Staates galten.
Allerdings weist dieses Ordnungssystem eine bemerkenswerte Besonderheit hinsichtlich der Kategorisierung der Bevölkerung auf. Die im Ain vorgenommene Differenzierung beruht ausschließlich auf Basis der Kategorien des varṇa-jāt-thara-Nexus. Das bedeutet, die im Ain verschriftlichen Rechte und Pflichten definieren immer nur das Verhältnis einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppierung zum Staat, während das Individuum nur als Mitglied einer der vorgegebenen Kategorien eine Rolle spielt. Der Ain garantiert demzufolge zwar Rechtssicherheit, aber keinesfalls rechtlichen Universalismus für alle im Gorkhā-Staat lebenden Individuen. Aufgrund dieser Besonderheit unterscheidet sich der Ain nicht nur von den Modellen Europas im 19. Jahrhundert, in denen Gesetze das Verhältnis zwischen Staat und Individuum regulierten. Der Ain weicht sich in dieser Hinsicht auch von der idealtypischen Gesellschaftsordnung der śāstra-Literatur nach brahmanischer Lesart ab, der zufolge der soziale Status einer Einzelperson von dessen jeweiliger Lebensführung abhängt und entsprechend auch einen gewissen Grad der Mobilität beinhaltet.19
Nach den Gesetzen des Ains aber war es Individuen nicht möglich, beispielsweise durch einen Berufswechsel oder Lebenswandel den eigenen Status in der gesellschaftlichen Hierarchie zu verändern. Stattdessen war soziale Mobilität nur ganzen Gruppen vorbehalten. Und wenn es den herrschenden Eliten zweckdienlich war, nutzten sie diese Besonderheit der gesellschaftlichen Struktur und manipulierten die Hierarchie gegebenenfalls, wie das Beispiel der Gruppe der Limbu verdeutlicht. In der ursprünglichen Version des Ain von 1854 war diese Gruppe noch als māsinyā matuvālī kategorisiert und durften dementsprechend versklavt werden. Nachdem sie aber im Krieg gegen Tibet 1856 auf Seiten der Gorkhālī gedient und sich als fähige Soldaten bewiesen hatten, stieg ihr Nutzen als militärische Ressource für den Machterhalt der Rāṇā-Dynastie. In der Folge wurde ihr gesellschaftlicher Status aufgewertet und sie wurden in den späteren Versionen des Ain als namāsinyā matuvālī klassifiziert.20
Weitere Gemeinsamkeiten mit dem Zivilisierungsdenken der europäischen Kolonialmächte lassen sich hingegen im Hinblick auf die kulturellen Marker, auf deren Grundlage die Statusposition von sozialen Gruppen innerhalb der Gesellschaftsordnung festgelegt wurden, ausmachen. Wie bereits an den beschriebenen Hauptkategorien der gesellschaftlichen Hierarchie deutlich wird, sind im Ain eine Reihe von Merkmalen definiert, anhand derer eine kulturelle Differenz zwischen den verschiedenen Kollektiven innerhalb des hierarchischen Ordnungssystems konstruiert wurde. Dazu gehören in erster Linie die religiöse Zugehörigkeit, die Akzeptanz von Wasser und gekochtem Reis sowie der Konsum bestimmter Lebensmittel, insbesondere Alkohol und Rindfleisch.
Wie in der umfassenden Forschungsliteratur klar herausgearbeitet wurde, waren die Zivilisierungsmissionen der europäischen Kolonialmächte von Beginn an meist christlich religiös konnotiert. Und auch im Falle der britischen Kolonien in Südasien dienten nach der Aufhebung des Verbots von Missionierungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts neben aufklärerischen Idealen, vermehrt auch Moralvorstellungen eines christlich geprägten Weltbildes der britischen Kolonialmacht als Legitimationsbegründung. Durch Konversion wurde ortsansässigen Teilen der Bevölkerung die Möglichkeit eröffnet, den eigenen sozialen Status und damit oft einhergehend auch den materiellen Wohlstand zu erhöhen. Die Zugehörigkeit zu christlichen Glaubensformen wurde also von den Briten in Südasien gezielt als kultureller Differenzmarker eingesetzt, durch den die Position eines Individuums oder einer Gruppe innerhalb der gesellschaftlichen Strukturen determiniert wurde. Dieses Kernprinzip europäischer Zivilisierungsmissionen findet sich auch im Ain wieder. Doch anstatt der Bibel, diente den Urhebern des Ain die śāstra-Literatur Südasiens und deren inhärenter Ethos als übergreifender Referenzrahmen für die Definition von Merkmalen kultureller Differenz und damit assoziierter Überlegenheit beziehungsweise Minderwertigkeit spezifischer Gruppen.
Sowohl die Bedeutung kultureller Differenzmarker als auch die Auswirkungen der Statusposition eines Individuums innerhalb der im Ain definierten Gesellschaftsordnung auf die Gesetzgebung, lassen sich am Verbot der Tötung von Rindern vertiefend erläutern. Wie im vorangegangenen Kapitel bereits aufgezeigt, war die Symbolik der Kuh und das damit verknüpfte Tötungsverbot von Rindern auf dem Höhepunkt der expansiven Phase des Gorkhā Rājs zum Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts essenzieller Bestandteil der Legitimationsstrategien der Śāha-Dynastie geworden. Diese Strategie wurde im Ain aufgegriffen und weiterentwickelt. Dem Gesetz nach wurde das beabsichtigte Töten eines Rindes grundsätzlich mit dāmala bestraft. Das bedeutet, dass überführte Straftäter auf der linken Wange gebrandmarkt, ihr gesamter Besitz konfisziert und sie lebenslang inhaftiert wurden (§§ 42, 66.1). Sollte eine Person ein Rind willentlich verletzen, es aber dabei nicht töten, drohte den namāsinyā matuvālī nur die Enteignung, während Mitglieder der māsinyā matuvālī versklavt wurden (§ 66.2). Das unbeabsichtigtes Verletzen eines Rindes wurde hingegen nur mit einer Geldstrafe geahndet (§ 66.3). Dabei variierte die Höhe der Geldstrafe je nachdem, ob sich der Täter freiwillig selbst stellte oder der Tat überführt wurde. Bei einer falschen Anschuldigung droht ebenfalls eine Strafe (§ 66.4). Wer Zeuge der Tötung eines Rindes wurde und es versäumte dies den zuständigen Behörden zu melden, machte sich mit schuldig (§§ 66.5, 66.12). Das Brechen eines Rinderbeines wurde mit einer Geldstrafe geahndet und zusätzlich stand dem Eigentümer des Rindes eine Entschädigung zu (§ 66.6). Wurde eine Person Zeuge einer beabsichtigten Rindstötung, droht dem Zeugen für die anschließende Tötung des Straftäters selbst keine Strafe. Sollte es sich aber um eine unbeabsichtigte Rindstötung handeln droht dem Mörder des Straftäters selbst, in Abhängigkeit des jeweiligen sozialen Status, entweder dāmala oder die Hinrichtung (§§ 66.7, 66.9). Jeder, der bei dem Versuch das Wohl des Rindes zu bewahren, dem Tier unbeabsichtigt Schmerzen zufügte oder auf sonstige Weise schadete, wurde dafür nicht bestraft (§ 66.8). An bedeutsamen hinduistischen Feiertagen (beispielsweise Kṛṣṇajanmāṣṭamī oder Śivarātri) war das Töten jeglicher Lebewesen, ausgenommen von Opfergaben, untersagt und selbst die Todesstrafe durfte nicht vollstreckt werden (§ 66.10). Starb ein Rind versehentlich bei dem Versuch es von den eigenen landwirtschaftlichen Erzeugnissen fernzuhalten, galt dies als Unfall und wurde lediglich mit einer Geldstrafe und Kompensation für den Eigentümer geahndet (§ 66.11). Wurde eine Straftat an einem Rind verübt, die noch nicht im Ain reguliert war, sollte der Fall dem ain kausala vorgetragen werden, welches dann ein neues Gesetz verabschieden musste (§ 66.12). Wurde ein Rind durch äußere Umstände wie einen Tigerangriff oder bei einem Unwetter getötet, drohten den Verantwortlichen keine Konsequenzen (§ 66.13). Sollte eine stumme Person ein Rind schlagen, ohne dieses aber ernsthaft zu verletzen, wurde diese Person mit 10 Peitschenhieben bestraft (§ 66.14).
Anhand dieser bemerkenswert detaillierten Gesetzgebung werden zweierlei Sachverhalte deutlich. Im Hinblick auf die herrschenden Eliten scheint es, als versuchten die Rāṇās eine bereits bewährte Legitimationsstrategie der Śāha-Dynastie aufzugreifen und diese in Form einer verschriftlichten Gesetzgebung sogar weiterzuentwickeln, um sich auf diese Weise als noch frommere Hindus und demzufolge legitime Nachfolgedynastie präsentieren zu können. Im Unterschied zu den früheren Regularien bezüglich der Rindstötung in den königlichen Erlassen aus dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, finden sich im Ain keinerlei Ausnahmeregelungen mehr für bestimmte Personengruppen. Das bedeutet, ab Mitte des 19. Jahrhunderts galt eine landesweit einheitliche Gesetzgebung, die für alle Teile der Bevölkerung gleichermaßen rechtlich verbindlich war, unabhängig von den jeweils spezifischen Glaubensformen und zuvor existierenden kulturellen Praktiken einzelner Gruppen.
Noch weitaus umfangreicher und komplexer ist die Gesetzgebung des Ain hinsichtlich des Konsums von Alkohol und Fleisch sowie die Akzeptanz von Wasser und gekochtem Reis. Allein der § 87 enthält insgesamt 34 Absätze, in denen diese kulturellen Praktiken als Merkmale des sozialen Status mit außergewöhnlicher Detailversessenheit definiert werden, die hier deshalb nur exemplarisch umschrieben werden können. Wenn beispielsweise eine stark alkoholisierte Person das Haus einer Person von höherem Status betrat, so wurden alle Gegenstände in dem Haus verunreinigt, die von der alkoholisierten Person berührt wurden. Als Strafe mussten alle verunreinigten Gegenstände ersetzt und eine Geldstrafe gezahlt werden. Tat die schuldige Person das nicht, drohte die Inhaftierung (§ 87.1). Ein Tontopf, der von einem Mitglied der pāni nacalnyā-Gruppen berührt wurde, war verunreinigt, falls der Tontopf danach in Kontakt mit Wasser kam (§ 87.3). Sollte eine Person der tāgādhārī nachweislich und mit Absicht verbotene Substanzen wie Alkohol, Hühner-, Rinder- oder Büffelfleisch konsumiert haben, wurde ihr das Recht aberkannt, gemeinsam mit anderen tāgādhārī gekochten Reis zu verzehren (§ 87.4). Wenn eine Person der pāni nacalnyā-Gruppen eine Person der tāgādhārī dazu verleitete gekochten Reis und Wasser zu akzeptieren, konnte die pāni nacalnyā-Person versklavt werden (§ 87.7). Grundsätzlich durften bei der Geburt eines Kindes nur Personen mit gleichwertigem Status wie die Gebärende die Nabelschnur durchtrennen. Nur in besonderen Notfällen war es auch Personen mit abweichendem sozialen Status gestattet Hilfe zu leisten. Handelte es sich um höherwertige Helfende, mussten diese sich aber im Anschluss durch ein rituelles Bad reinigen (§ 87.10). Es wurde minutiös reguliert, welche Gruppen wie bestraft wurden, wenn sie wissentlich Personen eines höheren gesellschaftlichen Status zum Konsum verbotener Substanzen verleiten (§§ 87.12, 87.15–87.22). Sogar welche Personengruppen welche Arten von Alkohol unter welchen Umständen konsumieren durften war gesetzlich geregelt (§§ 87.30–87.34). Bei Zuwiderhandlung drohte in Abhängigkeit von der gesellschaftlichen Position der Schuldigen als Strafe Statusverlust, Inhaftierung, Enteignung und Versklavung.
Mittels dieser Gesetzgebung des Ain wurden also das Töten von Rindern, der Konsum von Alkohol und Fleisch sowie die Akzeptanz von gekochtem Reis und Wasser zu kulturellen Merkmalen für die Positionierung von Personengruppen innerhalb der gesamtgesellschaftlichen Ordnung. Als überlegen, höherwertig beziehungsweise zivilisiert galten im Gorkhā-Staat ab Mitte des 19. Jahrhunderts die Personengruppen, die keine Rinder töteten, die Alkohol und Fleisch nur im Rahmen des Gesetzes konsumierten oder gänzlich darauf verzichteten und gekochten Reis und Wasser ausschließlich von Gruppen mit gleichwertigem sozialen Status akzeptierten. Bei Verstößen drohte nicht nur die Sanktionierung durch die Statusabwertung in der sozialen Hierarchie, sondern gegebenenfalls auch die strafrechtliche Verfolgung. Die Schwere der Sanktionierung und Bestrafung variierte allerdings je nach der Zugehörigkeit einer Person zu den Hauptkategorien des gesellschaftlichen Ordnungssystems im Ain.
Die durch den Ain vollzogene Institutionalisierung einer hierarchisierten Gesellschaftsordnung erhöhte die Legitimität der herrschenden Eliten vor allem auf der vertikalen Ebene, gegenüber der eigenen Bevölkerung und konkurrierenden Fraktionen innerhalb der Elite. Die neue machthabende Rāṇā-Dynastie konnte mit Hilfe des Ain die Wahrscheinlichkeit reduzieren, dass sich die benachteiligten Teile der Bevölkerung oder andere Fraktionen innerhalb der Elite zusammenschlossen und den Herrschaftsanspruch der Rāṇā infrage stellten. Das System motiviert sie viel eher dazu, untereinander um die Erhöhung des eigenen Status innerhalb der sozialen Ordnung zu konkurrieren, indem sie die Gesetzgebung des Ain anerkannten, sich ihr unterordneten und Folge leisteten. Dabei wussten die Urheber des Ain auf die Symbole der Macht, das Wertesystem, die Moralvorstellungen der brahmanischen Orthodoxie und damit auf die Legitimationsbegründungen vorangegangener Herrschaftsdynastien zurückzugreifen und sich auf diesem Wege als deren legitime Nachfolger darstellen.

5.4 Reform soziokultureller Normen und Praktiken

Die Reform soziokulturelle Normen und Praktiken war ein prominenter Aspekt europäischer Zivilisierungsmissionen. Im Kern wurde argumentiert, die Kolonialherrschaft der europäischen Mächte sei deshalb legitim, weil nur diese imstande sei die als unzivilisiert geltenden Normen und Praktiken von Gesellschaften und die diesen zugrundeliegenden rückständigen Moralvorstellungen in den beherrschten Kolonien zu reformieren, um das Leben der Menschen zu verbessern. Im Kontext Südasiens erregte insbesondere die Praxis der Witwenverbrennung (satī) die Gemüter der Europäer. Sie galt als besonders deutliches Merkmal für die moralische Rückständigkeit und veranschaulichendes Beispiel für den notwendigen Reformbedarf dieser Gesellschaften.
What, in the first place, appeared as a reform of the ‘superstitious’ Hindu religion, in the abolition of sati, […], was another attempt by the colonial regime to enforce its right to reform India’s society. Neither general human rights nor the position of women in contemporary Indian society were on the agenda of the British-Indian government. Sati was simply the most spectacular issue of reform: all Europeans knew about the practice of a widow’s self-immolation on her husband’s funeral pyre, though it did not often occur. However, Britons regarded sati as the most outrageous and horrifying religious ritual.
(Michael Mann 2004: 17–18)
Die Instrumentalisierung der Praxis zur Herrschaftslegitimation durch britische Kolonialbeamte, aber auch lokale Eliten ist speziell im Kontext Bengalens im 19. und 20. Jahrhundert ausgiebig erforscht und diskutiert worden.21 In der historischen Forschung zum Gorkhā-Staat gibt es zu dieser Thematik aber bislang noch keine vergleichbaren Studien. Zwar wurden seit den 1990er Jahren einige Beiträge dazu veröffentlicht, aber diese beschränken sich weitestgehend auf die Ursprünge der Praxis, dessen Verbreitung und vor allem den damit verbundenen Ritualpraktiken.22 Und obwohl die Gesetzgebung des Ain auch in der Forschungsliteratur eine gewisse Rolle spielt und weitere Quellenmaterialen bereits erschlossen worden sind, wurde der Aspekt der Instrumentalisierung der Praxis zur Herrschaftslegitimation bislang überhaupt noch nicht thematisiert.
Interessanterweise ist der bisher früheste bekannte historische Nachweis für die Existenz der satī-Praxis in Südasien eine Inschrift am Tempel Cā̃gunārāyaṇa aus dem Jahr 464 am nördlichen Rand des Kathmandu-Tals. Es gibt einige wenige Quellen aus der Region des zentralen Himalaya, die darauf hindeuten, dass satī im Grunde nur von Eliten praktiziert wurde, die sich besonders ausgeprägt mit dem Moralkodex der brahmanischen Orthodoxie identifizierten. Auch die vaṃśāvalī-Literatur aus dem 18. und 19. Jahrhundert stütz diese Annahme, da die Praxis nur vereinzelt im Zusammenhang mit dem Tod eines Herrschers Erwähnung fand. Den vaṃśāvalī-Quellen zufolge sollen im 17. und 18. Jahrhundert beispielsweise die Ehefrauen von Rāma Śāha, Narabhūpāla Śāha und Bahādura Śāha, einem der Söhne Pṛthvīnārāyaṇa, ihren Ehemännern auf den Scheiterhaufen gefolgt sein.23 Ein lālamohara von 1777 belegt, dass Pṛthvīnārāyaṇa selbst insgesamt acht Sklavinnen mit ihm als satī verbrannt worden sind.24
Die ersten Hinweise auf den Beginn einer Debatte um satī in der Auseinandersetzung mit den Europäern finden sich im Bericht von Francis Buchanan-Hamilton, der 1819 schrieb:
The higher ranks, whenever not compelled by the most urgent necessity, conceal their women; and their widows ought to burn themselves with their husbands’ corpse. Many, however, refuse, nor did I learn that force is ever used. The custom seems, however, more prevalent than in any part of India where I have been, the vicinity of Calcutta excepted.
(Francis Buchanan-Hamilton 1819: 23)
Doch während die Praxis bereits 1829 per Gesetz durch Lord William Bentinck in den britischen Kolonien Südasien per Gesetz verboten wurde, erfuhr satī beziehungsweise dessen Regulierung erst infolge der Intensivierung der Beziehungen zwischen den Eliten der Gorkhālī und der britischen Kolonialmacht nach der Machtübernahme der Rāṇās und der Europareise Jaṅga Bahāduras zunehmend mehr Aufmerksamkeit. Der Begleiter der Gorkhālī-Entourage, Orfeur Cavenagh schrieb nach der Rückkehr aus Europa in seinem Bericht 1851:
Suttee is sanctioned throughout Nepal, but I am aware of several instances in which it has not been practiced, and it is not considered dishonourable, on the part of the relatives, to dissuade from being guilty of self-immolation, on the contrary, any person who may be convicted, of having used forcible or other unjustifiable means to induce a woman to sacrifice herself, is liable to severe punishment.
(Orfeur Cavenagh 1851: 96)
Es liegt daher die Vermutung nahe, dass Jaṅga Bahādura während seines Aufenthalts in England und Frankreich auf die Debatten zu satī aufmerksam wurde, möglicherweise deren Potenzial zu Herrschaftslegitimation erkannte und es für zweckdienlich erachtete, die Thematik auch in seiner geplanten Kodifizierung der Gesetzgebung aufzugreifen.
Im Ain sind dementsprechend im § 94 mit dem Titel satī jānyāko („Über die Witwenverbrennung“) insgesamt 29 Regulierungen der Praxis gesetzlich festgelegt worden. Dazu gehörten beispielsweise Altersbeschränkungen. Verheirateten Frauen war satī nur erlaubt, wenn sie selbst älter als 16 Jahre, sie nicht schwanger waren oder einen anderen Ehemann hatten. Außerdem durften auch ihre Söhne nicht jünger als 16 Jahre beziehungsweise ihre Töchter nicht jünger als 5 Jahre alt sein (§§ 94.1–12). Es gab auch Unterschiede in der Durchführung der Praxis in Abhängigkeit des gesellschaftlichen Status vom verstorbenen Ehemann und seiner Witwe. Wenn der soziale Status der Witwe von dem des verstorbenen Ehemannes abwich, musste diese auf einem separaten Scheiterhaufen verbrannt werden (§ 94.13). Auch der Abbruch Verbrennung war möglich und wurde detailliert geregelt. Abhängig vom exakten Zeitpunkt im Verlauf des Rituals konnte die Witwe mit einer Geldstrafe oder sozialem Statusverlust bestraft werden (§§ 94.14–17, 94.19). Für diesen Fall gab es zusätzliche Regelungen zu den Bedingungen für eine gesellschaftliche Rehabilitation und den notwenigen Sühnemaßnahmen für Witwen, die ihre Entscheidung revidiert und das Selbstverbrennungsritual abgebrochen hatten (§§ 94.23–26). Besonders viel Wert wurde daraufgelegt, dass die Witwenverbrennung nur freiwillig erfolgen und keinesfalls unter Anwendung von Zwang, Betäubung oder Überredung und nur unter strikter Einhaltung aller anderen gesetzlichen Vorgaben des Ain durchgeführt werden durfte. Bei Zuwiderhandlung drohten Geldstrafen, Inhaftierung, dāmala oder sogar die Hinrichtung. Die Strafen variierten je nachdem welchen sozialen Status die Witwe und diejenigen hatten, die eine rechtswidrige Witwenverbrennung durchführten (§§ 94.18, 94.20–22, 94.27–28). Sogar Ehefrauen, die irrtümlicherweise annahmen, ihr Ehemann sei verstorben und aufgrund dessen ihre eigene Verbrennung vorbereiteten, konnten ebenfalls mit eine Geldstrafe sanktioniert werden (§ 94.29).
Inwieweit diese Regulierungen auch tatsächlich durchgesetzt wurden, ist aufgrund des Mangels an weiteren Quellen diesbezüglich heute nicht mehr festzustellen. Ungeachtet dessen, gelang Jaṅga Bahādura durch die umfangreichen gesetzlichen Regelungen ein argumentativer Balanceakt. Auf der einen Seite ließ er satī nicht vollständig verbieten, was vielleicht negative Reaktion innerhalb der eigenen Eliten und jenen Teilen der Bevölkerung hervorgerufen hätte, die aufgrund von dessen Ursprüngen in der śāstra-Literatur möglicherweise ein Verbot der Praxis als Bruch mit der eigenen kulturellen Identität empfanden. Andererseits konnten Jaṅga Bahādura auf diese Weise seinen Willen und die Befähigung der neuen machthabenden Rāṇā-Dynastie, gesellschaftliche und kulturelle Reformen umsetzen zu können, insbesondere gegenüber den britischen Kolonialbeamten zum Ausdruck bringen. Insofern ließe sich Gesetzgebung des Ain zu satī auch als Manifestation einer partiellen Selbstzivilisierung interpretieren. Denn schließlich vermochten es die neuen herrschenden Eliten der Gorkhālī eines der wohl berüchtigtsten gesellschaftlichen Übel und rückständigen kulturellen Praktiken in der Wahrnehmung der Europäer in Eigenregie und mit Hilfe moderner Methoden wie einer formalisierten Gesetzgebung zu reformieren. Dies gelang ihnen, ohne durch ein zu radikales Vorgehen den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt zu gefährden und waren ergo auch selbst dazu in der Lage zu herrschen.
Dass dieser Balanceakt erfolgreich war, zeigt sich einerseits an der nicht vorhandenen Opposition zu diesen Maßnahmen innerhalb der eigenen Bevölkerung und Eliten. Auf der anderen Seite deuten die historiografischen Beiträge zeitgenössischer Europäer darauf hin, dass diese partielle Selbstzivilisierung auch bei dieser Gruppe von Adressaten den gewünschten Effekt hervorrief. So erkannte Henry A. Oldfield in Jaṅga Bahādura einen Reformer und klugen Strategen, dem es gelungen war, sich gegen die orthodoxen Kräfte im Land durchzusetzen, ohne dabei zu weit gegangen zu sein und einen erneuten Umsturz provoziert zu haben:
[…] Jang has uniformly set himself against satti; he cannot prohibit it, but he does everything to discourage it. […]. He says, and probably truly, that when the common people get accustomed to see that men of rank die and their bodies are burnt without satti, they will, of their own accord, gradually give up such an inhuman and unreasonable practice. There is already a considerable diminution in the number of sattis; they do occasionally take place, but very rarely.
(Henry A. Oldfield 1880: 251–252)
Genauso würdigte Daniel Wright in seiner Landesgeschichte Jaṅga Bahāduras Leistung und Durchsetzungsvermögen mit folgenden Worten:
[…] Sati was formerly of common occurrence. Of late years, however, that is, since Jung Bahadur’s visit to England, this custom has been discouraged, and various restrictions have been placed upon it. […]. These improvements, as well as many to be here after noticed, are entirely due to the personal influence of Sir Jung Bahadur and have been carried out in spite of the greatest opposition from the priests and Brahmans.
(Daniel Wright 1877: 21)
Auch Captain Cavenagh portraitiert Jaṅga Bahādura in seinen Memoiren als gerechten Herrscher:
Suttee, although allowed, is not enforced; on the contrary, anyone attempting to influence a widow by threats to sacrifice her life would be severely punished. […]. Jung Bahadur certainly seemed most anxious to act justly towards all the subjects of Nepal, without reference to rank or family influence.
(Orfeur Cavenagh 1882: 161–162)
Diese erfolgreiche Politik wurde nach Jaṅga Bahāduras Tod auch von seinen Söhne und Brüder fortgeführt. So berichtete auch der aus Pommern stammende Forschungsreisende Otto Ehlers von seinem Aufenthalt im Kathmandu-Tal zum Ende des 19. Jahrhunderts anerkennend:
Noch nicht allzu lange ist es her, daß auf den am Flusse liegenden Ghats neben den Leichen der Männer auch die Witwen derselben lebend auf den Scheiterhaufen gelegt wurden, um ihren Gatten in den Tod zu folgen. Diese ehemals unter den Hindus allgemeine Sitte, das „Sati“, ist, nachdem sie in Indien von der englischen Regierung abgeschafft worden, auch in Nepal allmählich aus der Mode gekommen, und nur vereinzelt kommt es entlegenen Teilen des Landes vor, daß eine Witwe den Flammentod, dem sie früher nicht entrinnen konnte, dem Witwenstande vorzieht.
(Otto Ehlers 1894: 323)
Nachdem schließlich die Annäherungen zwischen der Rāṇā-Administration unter Premierminister Candra Śamśera und der britischen Kolonialmacht zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihren einstweiligen Höhepunkt erreichte, wurde satī am 8. Juli 1920 endgültig per Gesetz verboten. Nachvollziehbarerweise findet sich in der Begründung des Verbots kein direkter Hinweis darauf, dass dieses vor allem dem Machterhalt der Rāṇās diente. Stattdessen wurde argumentiert, dass es sich genau genommen nicht um eine religiöse Pflicht handele, sondern nur eine von vielen Möglichkeiten sei, um beispielsweise Ruhm zu erlangen. Es müsse schließlich berücksichtigt werden, dass Frauen leicht in die Irre zu führen seien, weil sie nicht in der Lage wären, die vedischen Schriften richtig zu verstehen. Vor diesem Hintergrund sei es schlicht nicht möglich jederzeit zu erkennen, ob es sich um eine aufrichtige Witwenverbrennung im Sinne der heiligen Schriften handele oder nicht. Und deshalb sei ein Verbot der Praxis die einzige richtige Lösung.25 Die Anerkennung der europäischen Zeitgenossen war Candra Śamśera damals gewiss, wie in dem Kommentar von Perceval Landon zum Ausdruck kommt:
It is a tribute to his personal ascendancy that he [Chandra Shamsher] should have been successful in thus ‘changing the squares of obsolete tradition into the circles of civilized enlightenment’. With orthodoxy he has every sympathy; with bigotry he has none.
(Perceval Landon 1928, Vol. II: 172)
Einen vergleichbaren Prozess lässt sich auch mit Blick auf die Gesetzgebung im Ain bezüglich der Sklaverei und deren sukzessiver Abschaffung beobachten. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Regulierung und Abschaffung von Sklaverei und Menschenhandel im Zuge einer Vielzahl von Reformbewegungen in Europa und Nordamerika zu einem Merkmal zivilisierter Gesellschaften. „Offenkundig […] diente der Abolitionismusdiskurs als Gradmesser für die Zivilisiertheit von Gesellschaften.“ (2012: 169). Inspiriert von christlichen und aufklärerischen Werten war die Regulierung und Abschaffung der Sklaverei zwar das Hauptanliegen der Reformbewegungen. Gleichzeitig lieferte der Diskurs aber den Eliten Europas und den Kolonien Nordamerikas auch ein weiteres impliziertes Argument zur Herrschaftslegitimation. Denn schließlich waren nur sie imstande diesem gesellschaftlichen Missstand endgültig Einhalt zu gebieten.
Die Forschungsliteratur zum Thema Sklaverei im Gorkhā-Staat ist im Vergleich zu der über satī deutlich umfangreicher. Zu Beginn der wissenschaftlichen Debatte versuchten als erstes Vertreter der Rāṣṭrīya Itihās, basierend auf einigen wenigen lālamohara und Briefwechseln, Pṛthvīnārāyaṇa zum Pionier der Abolitionismus-Bewegung zu stilisieren. In den späten 1960er Jahren erschloss, übersetzte und veröffentlichte Mahesh C. Regmi dann weitere Quellen über das Sklaventum in den unterschiedlichen Phasen der Staatsbildung und diskutierte diese in seinen wirtschaftshistorischen Publikationen.26 In den 1970er Jahren erschienen erste Artikel, die sowohl die Sklaverei im Kathmandu-Tal vor der Expansion des Gorkhā Rājya, aber auch in den späteren Phasen der Staatsbildung im 18. und 19. Jahrhundert thematisierten. Nach 1990 wurden schließlich auch umfangreichere Beiträge veröffentlicht, in denen Sklaverei im historischen Kontext der Staatsbildung im zentralen Himalaya diskutiert, regionale und überregionale sowie die wirtschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Dimensionen ergründet wurden. Besonders viel Aufmerksamkeit in der Forschungsliteratur erfuhr dabei die Analyse der rechtlichen Rahmenbedingungen und die besonders öffentlichkeitswirksam inszenierte Abschaffung der Sklaverei durch Premierminister Candra Śamśera im Jahr 1925. In diesem Zusammenhang wurde auch erstmals debattiert, ob die Abschaffung tatsächlich aus hehren moralischen Gründen geschah oder der Abolitionismusdiskurs womöglich gezielt als Instrument zur Herrschaftslegitimation eingesetzt wurde.27 Der aktuellste Beitrag zur Debatte ist der von Manik Bajracharya editierte Sammelband (2022), indem die existierenden Forschungsergebnisse umfassend aufarbeitet und durch Übersetzungen sowie der Analyse von neu erschlossenen Quellenmaterialien ergänzt wird.
Die Anfänge eines Diskurses über Sklaverei im Gorkhā-Staat lassen sich, wie im Falle von satī, im Kontakt mit den ersten europäischen Besuchern verorten. In seinem Bericht beschreibt Buchanan-Hamilton die unterschiedlichen Formen von Sklaverei zu Beginn des 19. Jahrhunderts und identifiziert die generelle Armut der Bevölkerung als Ursache für die Existenz von Sklaverei und prangert insbesondere die schlechte Behandlung von weiblichen Sklaven an:
In Nepal most of the domestic servants are slaves. […]. Most of the slaves, it must be observed, have been born free. A few have been degraded and sold by the Raja on account of crimes alleged against them; but by far the greater part have been sold by necessitous parents. […]. The masters in general do not give their slave girls any other allowance than a small quantity of rice; […]. The poor creatures are therefore forced to sacrifice their chastity, in order to procure clothing; and beggary is the usual resource of those who are old and infirm.
(Francis Buchanan-Hamilton 1819: 234–235)
Genau wie im Zusammenhang mit der Regulierung von satī, liegt die Vermutung nahe, dass die Gorkhālī im Verlauf der intensivierten Kontakte mit der britischen Kolonialverwaltung und während der Europareise mit den Abolitionismusdebatten in Berührung kamen. Vermutlich erkannte Jaṅga Bahādura die damit verbundenen Risiken und Potenziale zur Legitimation seines Herrschaftsanspruchs. Aber Mitte des 19. Jahrhunderts war die Versklavung noch integraler Bestandteil der sozialen Ordnung im Gorkhā-Staat. Durch sie konnte zusätzliche Arbeitskraft zur Effektivierung des Staatsapparates akkumuliert werden und dadurch war auch das Funktionieren des Wirtschaftssystems des Gorkhā-Staates zu einem gewissen Grad von der Verfügbarkeit von Sklavenarbeit abhängig. Die Freilassung von Sklaven war grundsätzlich möglich und wurde auch praktiziert.28 Dieser Akt galt, ebenso wie das Spenden von Sklaven, als verdienstvoll und daher wurde häufig auch durch Schenkungs- oder Freilassungsurkunden förmlich bestätigt.29 Aufgrund der wirtschaftlichen und soziokulturellen Bedeutung des Sklaventums kam für die Rāṇā-Administration ein generelles Verbot zunächst nicht infrage Stattdessen versuchte man auch in diesem Fall durch einen argumentativen Spagat eine Lösung herbeizuführen. Es sollte die Minderung des Grades der eigenen Zivilisiertheit in der Wahrnehmung der europäischen Mächten vermieden werden, ohne aber Widerstand in der eigenen Gesellschaft zu riskieren und auf die Vorteile für die eigene Wirtschaft und den Machterhalt verzichten zu müssen.
Vor diesem Hintergrund sind auch die Gesetze des Ain einzuordnen. In den Artikeln 80 bis 85 sowie Artikel 97 und 129 wurden insgesamt fünf Kategorien von Sklaven, Leibeigenen und Bediensteten differenziert. Mit dem Begriff cākara wurden Haushaltsangestellte bezeichnet, von denen nur die darmahādāra cākara geringfügig entlohnt wurden. Im Unterschied zu Leibeigenen und Sklaven, existierte zwischen cākara und dem Eigentümerhaushalt eine Art Vertragsverhältnis. Daher konnten sie weder verpfändet noch verkauft werden (§ 97.30). Bei den sogenannten keṭī handelte es sich um weibliche Hausangestellte, die einen den cākara vergleichbaren Status hatten. Um zum Ausdruck zu bringen, dass eine Hausangestellte auch eine Sklavin war, wurde im Ain das spezifischere Kompositum kamārī keṭī verwendet (§ 97.30). Für Bedienstete, die durch Verschuldung zum Leibeigenen eines Gläubigers wurden, gibt es die begrifflichen Kategorie bā̃dhā beziehungsweise badhetyānī. Bei der Leibeigenschaft wurde unterschieden, ob eine Person erst zum Leibeigenen wurde, sobald sie den gewährten Kredit nicht bedienen konnte oder ob die Person sofort zum Leibeigenen wurde, bis der gewährte Kredit abgegolten war. Die Leibeigenschaft endete in beiden Fällen, wenn alle Schulden beglichen worden waren. Dem Eigentümern von Leibeigenen war die Verpfändung gestattet, aber der Verkauf untersagt (§§ 80–82).
Mit den Begriffen kamāro und kamārī wurden im Ain männliche und weibliche Sklaven bezeichnet. Sie wurden als zu veräußernde Ware definiert, waren in ihrem Wert oft mit Tieren gleichgesetzt und durften entsprechend gekauft und verkauft, verschenkt und vererbt werden. In Abhängigkeit von Geschlecht und Alter wurden die Preise von der staatlichen Administration zentralisiert festgeschrieben. Sämtliche Transaktionen sowie entlaufene Sklaven waren bei den Behörden meldepflichtig. Es gab nur begrenzte Möglichkeiten aus der Sklaverei befreit und zu einer ajāputra, einer freien Person zu werden. Entweder durch die Entscheidung des Eigentümers, durch die Begnadigung politisch einflussreicher Persönlichkeiten und für weibliche Sklaven durch die Geburt von Nachkommen des Eigentümers oder jeder anderen freien Person (§§ 80–83, 129). Zuletzt gibt es im Ain noch die Kategorie der khavāsa, die aber zwei unterschiedliche Bedeutungen haben konnte. Hauptsächlich wurden mit dem Begriff die illegitimen Nachkommen einer Sklavin mit dem Eigentümer mit hohem sozialen Status bezeichnet. Diese Nachkommen wurden also als khavāsa geboren. Allerdings wurde khavāsa auch als Bezeichnung für eine soziale Gruppierung verwendet, die aus der unehelichen Verbindung von Sklavinnen und dem Eigentümer innerhalb eines Haushalts mit hohem gesellschaftlichen Ansehen hervorgegangen waren. In diesem Fall konnte eine Person auch erst nach der Geburt khavāsa werden (§ 83).30
Die Versklavung als Strafe für den Verstoß gegen die zivilrechtliche Gesetzgebung des Ain war ein sehr effektives Mittel des Staates zur Unterdrückung und Ausbeutung, die in den Artikeln 60, 87, 110 und 111 sehr detailliert geregelt waren. Unter der Versklavung als Strafe hatten die ohnehin benachteiligten Gruppen der hierarchisierten Gesellschaftsordnung zu leiden. Für die Betroffenen war sie gleichbedeutend mit dem gesellschaftlichen Tod, denn sie mussten ihre Familien und Heimat verlassen und konnten nicht mehr zu ihnen zurückkehren. Für alle Sklaven, Leibeigenen und Bediensteten gehörten Gewalterfahrungen zum Alltag. Kinder wurden entführt, um sie zu verkaufen und insbesondere weibliche Sklaven waren zusätzlich oft sexuellem Missbrauch ausgesetzt. Alle Sklaven und Leibeigenen mussten rund um die Uhr arbeiten und wenn sie krank wurden, konnten sie verstoßen werden. Wie weit die entmenschlichenden Demütigungen mitunter gingen, lässt sich anhand einer auffällig spezifischen Regulierung erkennen:
If a master has put human excrement into the mouth of his male or female slave, the master shall not be entitled to get such a slave back. An adālata, ṭhānā or amāla office shall emancipate such a slave and set him or her free after taking 10 rupees from him. (...) If [the master] has put human excrement on other body parts except the mouth, he shall not be accused and held accountable.
(§ 60.4; zitiert in Übersetzung von Khatiwoda, Cubelic und Michaels 2021: 44)
In den Gesetzen des Ain wurden also nicht nur die Flucht und Befreiung von Sklaven (§ 80), der Kauf und Verkauf (§§ 82–84) und der Umgang mit kranken und arbeitsunfähigen Sklaven geregelt (§ 85). Die Gesetze beinhalteten auch ein paar grundlegende Schutzvorkehrungen für Sklaven, Leibeigene und Bedienstete, die sie vor den schlimmsten Auswüchsen von Misshandlung und Ausbeutung bewahren sollten. Beispielsweise war es Sklavenbesitzern verboten Kinder von Sklaven vor dem 11. Lebensjahr von ihrer Mutter getrennt zu veräußern. Ein Verstoß gegen dieses Gesetz wurde mit einer Geldstrafe geahndet (§ 83). Ebenso war der Verkauf oder Kauf von Sklaven oder das Verpfänden von Leibeigenen unter 16 Jahren verboten. Die Manipulation des sozialen Status einer Person, um diese versklaven zu können, war auch untersagt. Wurde eine widerrechtliche Versklavung durchgeführt oder von den zuständigen Behörden geduldet, drohte nicht nur den Straftätern, sondern auch den verantwortlichen Amtsinhabern Geldstrafen (§ 82). Vernachlässigten die Besitzer von Sklaven oder Leibeigenen deren Versorgung im Falle von Krankheiten oder Arbeitsunfähigkeit und sollten die Sklaven oder Leibeigenen überleben, waren sie nicht länger Eigentum (§ 85). Darüber hinaus wurde die Regelung erlassen, dass alle Sklaven, die in die von den Briten nach 1857 wieder zurückgegebenen Gebiete im Tarai geflohen waren, nach einem Jahr ihre Freiheit erlangten.31
Generell zielte die Gesetzgebung im Ain darauf ab, einheitliche und verbindliche rechtliche Rahmenbedingungen für die bis dahin sehr unterschiedlichen Regeln und Gewohnheiten in den verschiedenen Landesteilen im Umgang mit Sklaven, Leibeigenen und Bediensteten zu schaffen. Die Gesetze sollten für alle Beteiligten ein gewisses Maß an Rechtssicherheit garantieren. Zumindest in der Theorie konnten sowohl Sklaven, Leibeigene und Bedienstete sowie ihre Eigentümer ihre jeweiligen im Ain zuerkannten Rechte gegenüber den zuständigen Gerichtsbarkeiten des Gorkhā-Staates einfordern. In der Forschungsliteratur ist bis heute höchst umstritten, ob und in welchem Umfang die Gesetzgebung des Ain auch in der Praxis zur Anwendung kam. Doch ungeachtet dessen konnten die herrschenden Eliten der Gorkhālī mit Verweis auf den Ain ihrem Reformwillen zum Ausdruck zu bringen und unter Beweis stellen, dass sie selbst dazu in der Lage waren, auf die langfristige Abschaffung der Sklaverei mittels einer eigenständigen Gesetzgebung hinzuarbeiten. Diese Bemühungen wurden auch von den europäischen Adressaten bemerkt, obwohl sie retrospektiv auch die Schwachstellen und das Kalkül der Politik erkannten, wie beispielsweise am Kommentar Perceval Landons deutlich wird:
Jang Bahadur was the first who attempted to reform the old system. He made a law forbidding any free person to sell himself into slavery and making it illegal for a parent to dispose of his children. He also – moved no doubt rather by a laudable wish to get his new and rich Tarai soil cultivated than by any consideration of the feelings of the slave – ordered that no slave who had run away from his master and had settled in the districts of Naya Muluk and Morung should be returned to his owner. Neither of these enactments was of much use. It was found impossible to prevent men from selling themselves and their children when in desperation, and it is perhaps a pleasant commentary upon the system of slavery in Nepal that scarcely any runaways were willing to exchange the comfortable slavery of the uplands for the unhealthy liberty of the Tarai.
(Perceval Landon 1928, Vol. II: 164)
Nach ihrer Machtergreifung ergänzten die Śamśera Rāṇās unter Vīra Śamśera gegen Ende des 19. Jahrhunderts einige Regulierungen der Sklaverei im Ain, während sie aber gleichzeitig wenig unternahmen die bestehende Gesetze auch umzusetzen. Stattdessen nutzten sie das System im eigenen Interesse, um sich beispielsweise junge Sklavinnen für ihren Harem aus dem ganzen Land anzueignen.32 Substanziellere Schritte in Richtung einer Abschaffung der Sklaverei erfolgten erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, während der kurzen Herrschaft von Deva Śamśera. Seine Versuche, die Sklaven in den Palästen und Residenzen der Eliten im Kathmandu-Tal zu befreien und auch seine Bemühungen alle weiblichen Sklaven in den von ihm direkt kontrollierten Provinzen Kaski und Lamjung in die Freiheit zu entlassen, stießen auf heftige Gegenwehr von der feudalen Landbesitz- sowie politisch-administrative Elite. Trotz öffentlicher Apelle und Kompromissangebote, Sklaven lediglich als cākara zu kategorisieren und Sklaveneigentümer für den wirtschaftlichen Verlust angemessen zu kompensieren, blieben seine Bemühungen ergebnislos. In der britischen Historiografie wurde Deva Śamśeras Initiative zwar gewürdigt, aber dessen Scheitern auf die ihm generell unterstellte fehlende Führungs- und Regierungskompetenz zurückgeführt:
Hastily and without foresight he [Deva Śamśera] attempted to emancipate female slaves, not only in the states of Kaski and Lamjung, over which he had immediate and personal control, but in Kathmandu itself. The time was not yet ripe for such a measure, and an uproar arose which compelled the withdrawal of the scheme.
(Perceval Landon 1928, Vol. II: 81)
Nach der Absetzung und Exilierung Deva Śamśeras bereitete sein Bruder und Nachfolger Candra Śamśera im Verlauf von zwei Jahrzenten schrittweise die Abschaffung der Sklaverei vor. In dem Bewusstsein, dass das Sklaventum eine nicht zu vernachlässigende soziale, wie ökonomische Rolle im Gorkhā-Staat spielte, wurden zunächst nur geringfügige Ergänzungen des Ain vorgenommen, die beispielsweise die Versklavung und den Sklavenhandel erschwerten. Am 28. November 1924 wurde schließlich eine von langer Hand vorbereitete Versammlung auf dem Ṭũḍikhel, dem zentralen Paradeplatz in Kathmandu, einberufen und Candra Śamśera hielt eine besonders öffentlichkeitswirksame Rede, in der er die Abschaffung der Sklaverei ankündigte. Der Fotograf der Rāṇā-Regierung, Dirghamān Chitrakār, war beauftragt, die Szenerie vor Ort einzufangen (s. Abb. 5.2).
In seiner Rede begründet Candra Śamśera die Abschaffung der Sklaverei ausführlich sowohl mit moralischen als auch ökonomisch-rationalen Argumenten und führt dazu anekdotische und statistische Evidenzen an. Ein zentrales Argument lautete, die Sklaverei sei grundsätzlich unmoralisch. Dabei bezog er sich nur am Rande auf religiöse Argumente und fokussiert viel mehr, dass im Laufe des vergangenen Jahrhunderts in allen Teilen der Welt, in denen sabhyatā („Zivilisation“) existiere, die Sklaverei abgeschafft worden sei. Wenn also der Gorkhā-Staat im sabhyatā yuga („Zeitalter der Zivilisation“) selbst zu einem sabhya muluka („zivilisiertes Land“) mit einer unnati sarkāra („fortschrittlichen Regierung“) werden und als solches auch von der sabhya saṃsāra („zivilisierten Welt“) anerkannt werden wollte, sei die gesetzliche Abschaffung der Sklaverei eine dafür notwendig Voraussetzung.
Im weiteren Verlauf seiner Rede greift Candra Śamśera auf ein gängiges Argument des Abolitionismusdiskurses zurück und identifiziert die Kostenineffizienz von Sklavenarbeit im Vergleich zur Lohnarbeit als den ökonomisch-rationalen Grund, der für die Abschaffung spräche. Er präsentiert einerseits Anekdoten von der Insel Pemba und der Inselgruppe der Seychellen, anhand derer sich zeige, dass der Wechsel von Sklaven- zur Lohnarbeit zu einer signifikanten Effizienzsteigerung in der Landwirtschaft geführt habe. Darauf aufbauend rechnet er mit Hilfe umfangreicher Kalkulationen vor, wieviel mehr ein Sklave im Unterhalt im Vergleich zum Lohnarbeiter koste und legt schließlich dar, wieviel kosteneffizienter der Wechsel von der Sklavenarbeit zur Lohnarbeit auch im Falle der eigenen Landwirtschaft wäre. Den Vorbehalten, die Abschaffung könnte aber die gesellschaftlichen Strukturen destabilisieren, begegnet er mit dem zuvor erlassene Verbot von satī, welches nicht zu den befürchteten Konsequenzen für die soziale Ordnung geführt hatte. Und um sich auch die Unterstützung der Sklaveneigentümer zu sichern, verspricht er großzügige Kompensationen, die er ebenfalls sehr detaillier ausführt und begründet.33
Nach dem Erlass des gesetzlichen Verbots der Sklaverei wurde der Handel mit Sklaven mit sieben Jahren Haft bestraft. Basierend auf dem zuvor festgelegten Preis von je 75 Rupien für männliche und 100 Rupien für weibliche Sklaven zahlte die Administration Entschädigungen von insgesamt 3.670.000 Rupien aus. Die auf diese Weise befreiten Sklaven (amalekha) erhielten Land zur eigenen Bewirtschaftung in einem Dorf im Tarai, das in Anlehnung an Freetown in Sierra Leone den Namen Amlekhganj, „Ort der befreiten Sklaven“ erhielt. Im Nachhinein, so scheint es zumindest, diente die Geste des geschenkten Landes aber wohl eher anderen Zwecken. Insgesamt siedelten sich wohl nur etwa 60 Haushalte in dem von Malaria geplagten Gebiet an und diese wurden kurz darauf als Lohnarbeiter angeheuert, um für die Verlegung von Eisenbahnschienen den Wald zu roden.34
Die zeitnahe Übersetzung ins Englische und anschließende Veröffentlichung der Rede lassen den Schluss zu, dass diese nicht ausschließlich an die eigene Bevölkerung und die Sklaveneigentümer adressiert war, die um ihren Wohlstand fürchtete, sondern implizit ebenso an die Eliten Europas, insbesondere an die Mitglieder der League of Nations und die Briten. Tatsächlich erzielte die Maßnahme nicht direkt den erhofften öffentlichkeitswirksamen Erfolg. Zunächst war in der damaligen medialen Berichterstattung über die Rede und die nachfolgende Abschaffung der Sklaverei umstritten, ob das Vorgehen Candra Śamśeras primär intrinsisch oder extrinsisch motiviert war.35 So argumentierte beispielsweise William Vincent, seinerzeit Vorsitzender der indischen Delegation in der League of Nations, in seiner Rede in Genf, die Abschaffung der Sklaverei im Gorkhā-Staat sei „[…] clear evidence of the influence of the League in the East.” (The Modern Review, November 1926: 565).
Doch in einem Artikel der Times of India wurde dieser Lesart unmissverständlich widersprochen und die Argumentation umgekehrt:
So far from the Maharaja’s action being influenced by the League, we have on the other hand every reason to believe that it was his campaign against slavery that attracted the attention of the League which recently appointed the slavery commission to deal with slavery and conscripted labour in various parts of the globe.
(Times of India, 1. September 1926)
Und der englischsprachigen Zeitung Pioneer wurde außerdem auf den Umstand hingewiesen, dass die Bemühungen der Rāṇā-Regierung zur Abschaffung der Sklaverei in die Zeit zurückreichen, lange vor der Initiative der League of Nations Convention on Slavery:
Thus, various measures for manumission of Nepal slaves were adopted by His Highness the Maharaja long before the League appointed its first commission of enquiry on the subject of slavery in the year 1922.
(Pioneer vom 26. November 1926)
Doch ungeachtet dessen steht außer Frage, dass diese Rede und die anschließende Verbot der Sklaverei schlussendlich die intendierten Ziele erreichte. Candra Śamśeras gelang es alle Gegenargumente, die zum Scheitern des Versuchs seines älteren Bruders Deva Śamśeras beitrugen, zu antizipieren und insoweit zu entkräften, dass die Opposition innerhalb der eigenen Elite beschwichtigt und von dem Vorhaben überzeugt werden konnte. Gleichzeitig vermochte er es sehr effektvoll das internationale Ansehen des Gorkhā-Staates und der Rāṇā-Administration erhöhen und dadurch sicherzustellen als „zivilisiertes Land“ mit einer „fortschrittlichen Regierung“ im „Zeitalter der Zivilisationen“ als Teil der „zivilisierten Welt“ anerkannt zu werden. Perceval Landon würdigt dies in seiner Landesgeschichte mit folgenden Worten: „[…] Nepal has wiped away the last miserable symbol of an old regime, and in this, the first of all human duties, can stand forward as in all respects the equal of her sister sovereign States.” (Landon 1928, Vol. II: 172). Wie positiv das Verbot der Sklaverei vor allem im Ausland wahrgenommen, welche herausragende Bedeutung Candra Śamśera selbst dabei zugeschrieben und historischen Vergleiche bemüht wurden, davon zeugt ebenfalls die zeitgenössische Berichterstattung:
The abolition of slavery in Nepal […] has been achieved very largely through the efforts of a single individual. That the Prime Minister of Nepal, His Highness Maharaja Chandra Shumsher Jung Bahadur Rana, should have succeeded in less than two years in accomplishing a task which was only accomplished in the British Empire after generations of the most strenuous agitation, and in the United States after four year’s civil war, may indeed be regarded as a triumph of personality.
(Englishman vom 1. September 1926)
Die Meinungen, Wünsche, Bedürfnisse und die tatsächliche Lebensrealität der betroffenen Sklavinnen und Sklaven blieben hingegen weiterhin unberücksichtigt. Denn trotz der formellen Befreiung zogen es viele von ihnen vor in einem Abhängigkeitsverhältnis mit ihren vormaligen Eigentümern zu verblieben, weil es eine gewisse soziale wie ökonomische Absicherung bot.36 Und tatsächlich hatte Candra Śamśeras Initiative zwar den erhofften Effekt für die Selbstinszenierung und Außendarstellung der damaligen Rāṇā-Regierung, nämlich durch die ergriffenen Maßnahmen zur sozialen und kulturellen Selbstzivilisierung als gleichwertiges Mitglied im Kreise der bereits zivilisierten Welt anerkannt zu werden. Aber für die von der Sklaverei betroffenen Menschen brachten die ergriffenen Maßnahmen nicht die erhofften Erfolge, denn wie Axel Michaels (2018: 202) anmerkt, wurde erst am 17. Juli 2000 die letzte verbliebene Form von Sklaverei in Nepal abgeschafft. Das würde die These stützen, dass es bei der öffentlichkeitswirksam inszenierten Abschaffung der Sklaverei in Wahrheit nicht um die tatsächliche Reform eines soziokulturellen Missstandes ging, sondern um die gezielte Selbstinszenierung und damit letzten Endes um Herrschaftslegitimation.
Mit dem Zerbrechen des gesamteurasischen Equilibriums, der damit einhergehenden, bis dahin nie dagewesenen Hegemonie der europäischen Mächte und dem Ende der expansiven Phase der Staatsbildung der Gorkhālī im zentralen Himalaya veränderten sich auch die Legitimationsstrategien der neuen herrschenden Eliten zusehends. In den ersten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts versuchten sie noch durch geschicktes Taktieren, die in dieser Zeit noch konkurrierenden Mächte der EIC und des Qing-Kaiserreichs gegeneinander auszuspielen und die internen Machtkämpfe gewaltsam zu unterdrücken. Aber nach der Entmachtung und dem Tod Bhīmasena Thāpās und dem fortschreitenden Machtverlust des Qing-Kaiserreichs eskalierten auch die Konflikte zwischen den verschiedenen Fraktionen innerhalb der Elite der Gorkhālī. Infolgedessen war nicht nur die innere Stabilität, sondern auch die Unabhängigkeit des entstehenden Gorkhā-Staates zunehmend gefährdet. Letztlich vermochte es Vīra Narasiṃha Kũvara die Wirren dieser Zeit zu nutzen und als Jaṅga Bahādura Rāṇā an die Macht im Land zu gelangen.
Als neuer Premierminister war sich nicht nur über die Instabilität im Klaren, sondern wusste auch um die stetig gewachsene äußere Bedrohung durch die britische Kolonialmacht und bemühte sich um ein kooperatives Verhältnis. Während seiner Reise nach Europa lernte er die wichtigsten Legitimationsstrategien der neuen Hegemonialmacht in Südasien kennen und begann mit der selektiven Aneignung besonders wirkmächtiger Instrumentarien. Mit Hilfe des Ain gelang es Jaṅga Bahādura den britischen Expansionsbestrebungen in Südasien mit der Einführung eines eigenen kodifizierten Rechtssystems zuvorzukommen. Darüber hinaus wurden durch den Ain neu angeeignete Legitimationsstrategien mit denen vorangegangener Herrschaftsdynastien verknüpft, um die Legitimität des Herrschaftsanspruch der neuen machthabenden Rāṇā-Dynastie zu stärken, die internen Machtkämpfe zu beenden und einer möglichen Fremdbestimmung zuvorzukommen. Insofern lässt sich die Kodifizierung des Rechts in Form des Ain und der damit einhergehende Aufbau eines landesweit einheitlichen Rechtssystems als Beginn der Selbstzivilisierung im Gorkhā-Staat interpretieren.
Die Verbindung von Maßnahmen zur Effektivierung des Staatsapparates mit der Legitimation der Legalität erlaubte, dass diese nicht als Ausdruck einer Willkürherrschaft wahrgenommen wurden, da sie auf einer formalisierten Gesetzgebung und dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit beruhten. Dieses Zusammenwirken ermöglichte es der neuen Rāṇā-Administration neue Kontrollinstrumente sowie Mechanismen zur Extraktion von finanziellen Ressourcen und zusätzlicher Arbeitskraft zu etablieren, vor allem durch die Verhängung von Geldstrafen und Versklavung. Gleichzeitig legitimierte der Bezug auf den varṇa-jāt-thara-Nexus und den Ethos brahmanischer Orthodoxie durch die Institutionalisierung einer hierarchisierten Gesellschaftsordnung den Anspruch auf zivilisatorische Überlegenheit der herrschenden Eliten als tāgādhārī auf der vertikalen Ebene gegenüber allen übrigen Teilen der Bevölkerung. Die Aneignung dieser Diskurse bediente außerdem ein legitimierendes Exzeptionalismus-Argument und identitätsstiftendes Narrativ. So inszenierten sich die Rāṇās im Ain als Bewahrer und Beschützer des weltweit einzig verbliebenen „Hindu Königreichs im Kali Zeitalter“ (§ 1) und durch diese konstruierte Identität konnten sie sich zusätzlich auch nach außen hin kulturell abgrenzen. Wie die Beispiele der kulturellen Identitätsmarker darüber hinaus zeigen, waren die Rāṇās in der Lage, sich mittels der Bezugnahme und Weiterentwicklung von Legitimationsstrategien vorangegangener Herrschaftsdynastien auf horizontaler Ebene nach innen, wie nach außen hin, sowohl gegenüber konkurrierenden Fraktionen der Elite als auch gegenüber den anderen Regionalmächten Asiens implizit als legitime Nachfolger der Śāha-Dynastie zu präsentieren.
Ähnlich verflochten sind auch die Ebenen der Legitimationsbegründungen mit Blick auf die Reform gesellschaftlicher und kultureller Missstände. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bemühte sich die Rāṇā-Administration in einem Balanceakt, die Praxis der Witwenverbrennung und Sklaverei gesetzlich zu regeln, um sich die Anerkennung der britischen Kolonialmacht zu sichern, ohne zugleich durch einen zu starken Eingriff Widerstände innerhalb der eigenen Eliten zu schüren, die das gesamtgesellschaftliche Gefüge und damit auch die eigene Herrschaft gefährden konnten. Nach dem gewaltsamen Coup d’État der Śamśera Rāṇās gewannen diese Legitimationsstrategien bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts kontinuierlich an Bedeutung. Als aber die Reformbemühungen Deva Śamśeras erfolglos blieben und in dessen Entmachtung endeten, lernte Candra Śamśera aus den Fehlern der Vergangenheit. Vorausschauend bereitete er die eigene Bevölkerung und besonders die eigene Elite durch sein sehr kleinteiliges Vorgehen auf das Verbot von satī und Sklaverei über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten schrittweise vor.
Die letztlich erfolgreichen Bemühungen der Rāṇā-Administration, die Witwenverbrennung und Sklaverei per Gesetz zu verbieten, trugen maßgeblich zur formellen Anerkennung der Unabhängigkeit und territorialen Integrität des Gorkhā-Staates im Freundschaftsabkommen mit der britischen Kolonialmacht bei. Wie sich außerdem anhand der damaligen medialen Berichterstattung, aber auch den späteren historiografischen Beiträgen deutlich zeigen ließ, war es Candra Śamśera durch die gezielte Aneignung dieser Legitimationsdiskurse und -praktiken gelungen, sich im Zuge einer sich durch den Zivilisierungsdiskurs zunehmend globalisierenden Welt selbst als zivilisierter und zivilisierender Herrscher zu inszenieren. Mit den Mitteln eines als fortschrittlich wahrgenommenen Rechtssystems hatte er erfolgreich die äußerst langlebigen gesellschaftlichen Missstände beheben können. In letzter Konsequenz wurde durch die Selbstzivilisierung soziokultureller Normen und Praktiken die Legitimität des Herrschaftsanspruchs der Rāṇā-Dynastie und ihrer Regierung gegenüber der eigenen Bevölkerung, den europäischen Mächten und der bereits zivilisierten Weltgemeinschaft untermauert.
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Fußnoten
1
Siehe beispielsweise: Adhikari (1979, 1984, 1986), Manandhar, T. R. (1983, 1986), Sharma, G. N. (1990), Shaha (1990), Whelpton (1991), Sever (1993), Ishwari (1996), Rana et. al. (2003), Amārtya (2004), Whelpton (2005a), Sharma [Kandel] (2009), Rana, G. (2012), Rupakheti (2012), Michaels (2018).
 
2
Siehe außerdem Hodgson (1834: 258–279; 1836: 94–134).
 
3
Vgl. Khatiwoda, Cubelic und Michaels (2021: 2).
 
4
Nach 1952 auch als Mulukī Ain bezeichnet.
 
5
Der Titel des Gesetzeskodex ist dem persischen Wort ā’īn entlehnt, das wörtlich mit „Gesetz“ übersetzt wird und so bereits den Einfluss eines bis dahin in Südasien bedeutenden Rechtssystems offenbart. Den gleichen etymologischen Ursprung weist auch der später hinzugefügte Präfix muluki auf, das wörtlich mit „Land“ übersetzt wird, aber kontextspezifisch auch „königlich“ bedeuten kann. Vgl. Adhikari (1976b: 106).
 
6
Zum Entstehungskontext und der These des Einflusses europäischer Rechtskodizes und politischer Systeme siehe Whelpton (1983: 123), Shaha (1990: 243), Fezas (1999: 1283; 2000: xxiv), Gyawali (2017; 2018), Michaels (2018: 92–94) und Khatiwoda, Cubelic und Michaels (2021: 2–3).
 
7
Vgl. Rupakheti (2017: 169–171).
 
8
A1: Śrī 5 Surendra Vikrama Śāhadevakā Śāsanakālamā baneko Mulukī Aina (1965 [2022 V.S.]). Kathmandu: Śrī 5-ko Sarakāra, Kānūna tathā Nyāya Mantrālaya. Zum verwendeten Manuskript von 1867 als Vorlage siehe Khatiwoda, Cubelic und Michaels (2021: 6).
 
9
A2: Fézas, Jean (Hg.) (2000): Le Code Népalais (Ain) de 1853. Vol. 1–2. Turin: Comitato per la Publicazione del Corpus Juris Sanscriticum.
 
10
A3: Aghi aghikā mukhatyāra bhaibhārādāraharule (…) 1908 sāla dekhi banāi baksyāko Āin. (1870 [1927 V.S.]). Kathmandu: Nepāla Manorañjana Yantrālaya (Press).
A4: Aghi āīna bandā sāhrai lambāyamāna bhai ra dobharā tebharā smeta parī sajāya smeta nami-lyāko yakai muddā sajā […] nāmā 2|3 mahala lāgnyā hunāle śrī 3 mahārāja bīrasaṃsera jaṅga rāṇā bāhādūra […] bāṭa choṭakarī tavarasaga sabaikurā pugnyā yekā mahalkā māmalā dośrā mahalko āina nalāgnyā garī banāibaksyāko āin. (1888 [1945 V.S.]). Kathmandu: Nepāla Śrī Bīra Deva Prakāśa Yantrālaya.
 
11
A5: Ain. (1935 [1992 V.S.]). Kathmandu: Gorkhāpatra Press.
A6: Mulukī Ain. (1965 [2022 V.S.]). Kathmandu: Kānūna tathā Nyāya Mantrālaya.
Für weitere Erläuterungen zu den unterschiedlichen Versionen, Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Ergänzungen im Laufe der Zeit sowie deren Verwendung in der gesamten Übersetzung siehe Khatiwoda, Cubelic und Michaels (2021: 4–9).
 
12
Vgl. Präambel und Art. 1.1 in A1. Für die Übersetzung siehe Khatiwoda, Cubelic und Michaels (2021: 85; 103).
 
13
Zitiert in Übersetzung in Khatiwoda, Cubelic und Michaels (2021: 3).
 
14
Vgl. Burghart (1984: 103).
 
15
Vgl. Khatiwoda, Cubelic und Michaels (2021: 27–28).
 
16
Vgl. Khatiwoda, Cubelic und Michaels (2021: 28).
 
17
Vgl. beispielsweise Dirks (2002) und Waligora (2004).
 
18
Vgl. Mann (2004: 13–23, 2011: 322), Watt (2011: 1) und Osterhammel (2005: 370).
 
19
Vgl. Khatiwoda, Cubelic und Michaels (2021: 24).
 
20
Vgl. Rupakheti (2017: 184).
 
21
Vgl. beispielsweise Waligora (2002), Tschurenev (2004) und Sarkar (2012).
 
22
Vgl. Michaels (1993; 1994; 2018: 51–54), Maskey (1996: 64–85) und Manandhar, T. R. (2000).
 
23
Ob sich das tatsächlich so zugetragen hat oder ob die Schilderungen doch Erfindungen der Autoren zur retrospektiven Verdeutlichung der Frömmigkeit der Herrschenden waren, kann auf Basis verfügbarer Quellen nicht abschließend geklärt werden. Vgl. Michaels (2018: 51).
 
24
Raṇabahādura Śāha (1777 [1834 V.S.]): “A lālamohara on the satī of eight slave girls”. Rāṣṭriya Abhilekhālaya Nepal. Signatur: DNA_0014_0041. Documenta Nepalica https://​doi.​org/​10.​11588/​diglit.​36929 [letzter Zugriff: 11.01.2024].
 
25
Vgl. Michaels (2018: 54).
 
26
Vgl. beispielsweise Regmi Research Series 1.2 (1969: 44–45). Siehe außerdem Regmi, M.C. (1971: 117–123, 186–187).
 
27
Vgl. Chhetry (1992), Maskey (1996: 32–63), Whyte (1997, 1998), Gyawali (2017: 235–239; 2018: 22–24), Mann (2012: 209–2010), Michaels (2018: 200–202).
 
28
Vgl. Bajracharya (2022: 79–109).
 
29
Gira, Gosāī Ṭhākura (1759 [1816 V.S.]). “A document recording the donation of a slave and land to Ādiviśveśvara by Ṭhākura Gira”. Rashtriya Abhilekhalaya Nepal. Signatur: K_0113_0023. Documenta Nepalica https://​nepalica.​hadw-bw.​de/​nepal/​catitems/​viewitem/​25640/​1 [letzter Zugriff 11.01.2024].
Girvāṇayuddhavikrama Śāha (1802 [1858 V.S.]). “A Lālamohara Emancipating a Family of Patan from Slavery”. Rāṣṭriya Abhilekhālaya Nepal. Signatur: DNA_0012_0065. herausg. /übers. von Manik Bajracharya mit Christof Zotter, Simon Cubelic und Rajan Khatiwoda. Documenta Nepalica. https://​doi.​org/​10.​11588/​diglit.​32500 [letzter Zugriff 11.01.2024].
Giri, Sundara (1812 [1869 V.S.]). “A copperplate inscription recording the emancipation of three women from slavery by Sundara Giri and his wife”. Rashtriya Abhilekhalaya Nepal. Signatur: PN_0004_0065. Documenta Nepalica. https://​nepalica.​hadw-bw.​de/​nepal/​catitems/​viewitem/​16807/​1 [letzter Zugriff 11.01.2024].
Rājakumārī Pãḍenī (1886 [1943 V.S.]): “A deed of emancipation written by Rājakumārī Pãḍenī to her slave Gopāle”. Rashtriya Abhilekhalaya Nepal. Signatur: K_0118_0033. Documenta Nepalica https://​nepalica.​hadw-bw.​de/​nepal/​catitems/​viewitem/​7222/​1 [letzter Zugriff 11.01.2024].
 
30
Vgl. Khatiwoda, Cubelic und Michaels (2021: 45).
 
31
Vgl. Ojha (1983).
 
32
Vgl. Chhetry (1992: 260–268).
 
33
Siehe Rāṇā, Candra Śamśera (28. November 1924 [14. Marga 1981 V.S.]): Appeal to the People of Nepal for the Emancipation of Slaves and Abolition of Slavery in the Country. Kathmandu, Nepal.
 
34
Michaels (2018: 207).
 
35
Vgl. Chhetry (1992: 343–347).
 
36
Vgl. Chhetry (1992: 351), Mann (2012: 209–210) und Michaels (2018: 208).
 
Metadaten
Titel
Recht und Ordnung im Gorkhā-Staat
verfasst von
Stefan Lüder
Copyright-Jahr
2024
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-44422-8_5