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2024 | OriginalPaper | Buchkapitel

4. Fallbeispiel: Weltsozialforum

verfasst von : Björn Allmendinger

Erschienen in: Demokratie von unten?

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Die eigentliche Gründungsidee des Weltsozialforums geht zurück auf die von den Zapatistas und ihrem weltweiten Unterstützernetzwerk initiierten „interkontinentalen“ bzw. „intergalaktischen“ Treffen in Chiapas (1996) und Spanien (1997). Dort hatte es bereits von einigen Aktivist*innen erste Überlegungen gegeben, einen offenen Raum des Austauschs und der Begegnung zu schaffen, der in regelmäßigen Abständen und für einen begrenzten zeitlichen Rahmen die unterschiedlichen Strömungen der globalisierungskritischen Bewegung vereinen sollte. „Historische Vorbilder für einen solchen demokratischen Konstituierungsprozess einer transnationalen sozialen Bewegung“, so jedenfalls Peter Wahl in Bezug auf die Entstehungszusammenhänge des Forums, existierten zum damaligen Zeitpunkt jedoch nicht.

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Fußnoten
1
Laut Chico Whitaker war die Idee des Weltsozialforums von Oded Grajew bereits vor dem gemeinsamen Gespräch in Paris geäußert worden. So ist einem Artikel Whitakers aus dem Jahre 2002 zu entnehmen: „Exactly who had this great idea? Our friend Oded Grajew. I dont know if he discussed it with anyone else beforehand, but he put it to me when we met in France in February this year [2000; Anm. B. A.]. Together, we decided to take it to Bernard Cassen, director of Le Monde Diplomatique, who is also president of ATTAC in France, to see how well the idea would be received outside of Brazil“ (Whitaker 2002; vgl. hierzu ebenfalls Whitaker 2007: 166).
 
2
Ulrich Brand und Miriam Heigl bezeichneten das Weltsozialforum vor einigen Jahren daher als einen „wichtigen symbolischen Kontrapunkt“ (Brand/Heigl 2007: 166) zum Treffen der Wirtschaftseliten in Davos und führten diesbezüglich noch fünf weitere Kernelemente bzw. Hauptfunktionen des globalisierungskritischen Großevents an: Erfahrungsaustausch, konkrete Absprachen und Strategieentwicklung, Selbstverständigung, Agenda Setting (in Bezug auf die Entwicklung emanzipativer Alternativen) und Identitätsbildung (vgl. ebd.: 166–67).
 
3
Eine hiervon etwas abweichende Übersetzung wurde von Attac-Deutschland verbreitet (siehe Attac-D 2001b).
 
4
Einer der wesentlichen Gründe für die Wahl Porto Alegres dürfte ebenfalls gewesen sein, dass Chico Whitaker selbst einige Jahre zuvor (1988) für die PT in das Stadtparlament von São Paulo einzog und über sehr gute Parteikontakte verfügte.
 
5
Hierbei handelte es sich um ein Folgetreffen des „World Summit for Social Development“ der UN-Generalversammlung, das fünf Jahre zuvor in Kopenhagen stattgefunden hatte (siehe UNO 2000).
 
6
Die Teilnehmerzahl ist als Gesamtzahl zu betrachten und ist nicht allein auf die offiziellen Anmeldezahlen der Forumsveranstalter*innen beschränkt. Da es sich beim Weltsozialforum um eine offene Dialogplattform handelt, können in der Regel auch nichtregistrierte Personen an den Veranstaltungen teilnehmen – soweit Kontrollen durch Sicherheitskräfte dies nicht verhindern, wie z. B. in Tunis 2013 und 2015. Folglich handelt es sich bei den Angaben zu den Teilnehmendenzahlen stets um eine ungefähre Größenordnung. Gleiches gilt im Übrigen auch für Herkunft und Hintergrund der Teilnehmer*innen sowie die genaue Anzahl der Veranstaltungen.
 
7
Eine Ausnahme sind Vertreter*innen von Parteien und militärische Organisationen (siehe hierzu auch O-WSF 2001 sowie den nachfolgenden Abschnitt).
 
8
Noch vor der formalen Beschlussfassung durch den Internationalen Rat fand im Dezember 2001 bereits das erste „African Social Forum“ in Mali statt (vgl. Corrêa Leite 2005: 125). Der Forumsprozess hatte sich augenscheinlich schon zu diesem Zeitpunkt in gewisser Weise verselbständigt. Hierzu lohnt sich ergänzend ein Blick auf die Übersicht der ersten regionalen Sozialforen (2001–2005), die von Smith et al. zusammengestellt wurde (vgl. Smith et al. 2008: 111).
 
9
Im Hinblick auf die Organisationsdebatten innerhalb des Weltsozialforums ist erwähnenswert, dass z. B. die indische Aktivistin Anita Anand in der zunehmenden Dezentralisierung des Forums eine Chance für die Weiterentwicklung der internen Demokratie sah. Ihr Vorschlag lautete daher, „den Schwerpunkt des WSF [Weltsozialforum] von den globalen Ereignissen auf die nationalen, regionalen und thematischen Foren zu verlagern“ (Anand 2004b: 429). „Auf diesen Ebenen“, so Anand weiter, seien „die Fragen der Repräsentation und der partizipativen Demokratie, die in den augenblicklichen Strukturen als unbeantwortet angesehen werden, einfacher zu lösen“ (ebd.).
 
10
Angesichts des rasanten Anstiegs der Teilnehmer*innenzahlen gab Roberto Savio, Mitglied des Internationalen Rats des Weltsozialforums, schon 2003 zu bedenken: „Wir müssen anfangen, uns um die Qualität zu kümmern und nicht nur die Quantität“ (zit. n. Staud 2003a). Ergänzend schlug er vor, zukünftig nur noch Sozialforen auf den jeweiligen Kontinenten abzuhalten und das Weltsozialforum primär als „begrenztes Labor zur Ausarbeitung von Strategien“ (ebd.) zu betrachten.
 
11
Whitaker zufolge wurde dieses Modell bereits 2001 innerhalb der „Führungsriege“ des Weltsozialforums erörtert: „In Jahren mit gerader Zahl sind multipolare Veranstaltungen geplant: Zeitgleich mit Davos werden in verschiedenen Ländern mehrere untereinander verknüpfte Weltforen organisiert. In den Jahren mit ungerader Zahl findet ein einziges Weltsozialforum statt“ (Whitaker 2001, zit. 2007: 171). Das polyzentrische Forum 2006 wurde im Nachhinein als Misserfolg gewertet, was letztlich wohl vor allem an der fehlenden Abstimmung der jeweiligen Organisationskomitees untereinander gelegen haben dürfte (vgl. Neumann 2006 und Reichel 2006).
 
12
Glasius und Timms stellten bspw. in ihrer Untersuchung von 2006 fest, dass alleine in Italien zum damaligen Zeitpunkt wohl mehr als 180 lokale Sozialforen aktiv waren (vgl. Glasius/Timms 2006: 205).
 
13
Eines der ersten Beispiele, in denen dies deutlich wurde, war die Gründung des GSF anlässlich des G8-Gipfels in Genua, die entgegen des ausdrücklichen Wunsches der Weltsozialforumsorganisatoren erfolgte.
 
14
Ein weiteres Beispiel ist diesbezüglich auch das „Arbeitskomitee des Weltsozialforums Indien“ (WSF Indien 2002, zit. 2004).
 
15
Die Zahlen wurden entnommen aus Glasius/Timms (2006: 198).
 
16
Die diesbezügliche Anlage mit der tabellarischen Übersicht der in den Jahren von 2001 bis 2021 durchgeführten Weltsozialforen ist im elektronischen Zusatzmaterial einsehbar.
 
17
Vgl. hierzu speziell auch die Ausführungen von Ignacio Ramonet in der Januarausgabe von Le Monde diplomatique 2001 unter dem Titel „Warum Porto Alegre“ (Ramonet 2001a: 1).
 
18
Zur Aufnahme und Zusammensetzung des Internationalen Rates heißt es in einem Papier des brasilianischen Organisationskomitees aus dem Jahre 2001: „Der IR [Internationale Rat] besteht aus einem Kern, in dem immer noch regionale Ungleichgewichte bestehen (nur geringe Beteiligung aus Afrika und Asien und der arabischen Welt), die beseitigt werden müssen. […] Die Zusammensetzung des IR soll nach folgenden Kriterien bestimmt werden: Annahme der Prinzipiencharta; geographisches und regionales Gleichgewicht, das auf Vielfalt abzielt; sektorale Teilnahme: Gewerkschaften, soziale Bewegungen, NGOs und andere; Teilnahme der Vorstände internationaler und regionaler Netzwerke; Engagement für die Kontinuität des WSF [Weltsozialforum] […]; keine festgesetzte Zahl von Mitgliedern […]“ (BOK 2001, zit. 2004: 410).
 
19
Diese Vorgehensweise ist nicht unüblich, wie z. B. auch die Entscheidungsprozesse innerhalb des Attac-Netzwerks aufzeigen (siehe Abschnitt 5.​2.​2.).
 
20
Durch die stetig steigende Gruppengröße des Rates wurde diese Problematik noch zusätzlich verschärft. Bei seinem Zusammentreffen 2004 in Mumbai bestand der Internationale Rat z. B. noch aus etwa 80 Mitgliedern. Doch schon im Vorfeld des Weltsozialforums in Indien gab es unter den Ratsmitgliedern intensive Diskussionen über die Größe und Zusammensetzung dieses Gremiums. Wie aus einem damaligen Bericht von Joachim Wahl, von 2002 bis 2004 Leiter des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in São Paulo, hervorgeht, befürworteten „[e]s Organisationen […] eine Erweiterung des IR [Internationalen Rates] bis auf 2.000 Mitglieder, d. h. dass alle am Forumprozess [sic!] beteiligten Organisationen Vertreter entsenden [hätten] können. Andere […] [wiederum präferierten] eine Einschränkung der Teilnehmer und […] [wollten] Grundregeln (Verbindlichkeit von Beschlüssen, Stimmrecht) einführen. Vereinbart wurde [schließlich], dass der IR für alle offen steht, die die ‚Charta der Prinzipien‘ akzeptieren“ (J-Wahl 2004).
 
21
Zu diesen neu gebildeten Kommissionen im Internationalen Rat gehörten: Inhalt und Methodologie, Strategie, Expansion, Kommunikation und Finanzen (vgl. Schröder 2015: 155).
 
22
Nach Analysen von Kléber Bertrand Ghimire bestand der Internationale Rat im Jahre 2008 zu rund 60 Prozent aus südamerikanischen und europäischen Mitgliedern und zu ungefähr 10 Prozent aus nordamerikanischen Vertreter*innen (vgl. Ghimire 2011: 105). Auch Chico Whitaker schien dieses Repräsentationsungleichgewicht nicht verborgen geblieben zu sein: „Der Internationale Rat des Weltsozialforums wurde ohne definierte Repräsentativitätsregeln gebildet. Das führt dazu, dass die Zusammensetzung der Mitglieder weder im Bereich der Länder/Regionen noch in Bezug auf die Sektoren politischer Arbeit ausgewogen ist“ (Whitaker 2007: 137).
 
23
Die Herausbildung informeller Hierarchien und Netzwerke war auch im Vorfeld des ersten Europäischen Sozialforums in Florenz (2002) zu beobachten. Nach Linden Farrer beschränkte sich die dortige Leitungsebene auf lediglich sechs Personen. Hierzu zählten: Tom Benetollo (Associazione Ricreativa Culturale Italiana), Peppe De Cristofari (Giovani Comunisti/Rifondazione Comunista), Alfio Nicotra (ital. Sozialforen), Pierluigi Sullo (Carta), Bruno Paladini (Cobas) und Marco Bersani (Attac-Italien). Dieser innere Kreis traf „bedeutende Entscheidungen über die Struktur des ESF [Europäisches Sozialforum] […] [und entschied] letztendlich, wer in Florenz und wann und zu welchem Thema sprechen durfte“ (Farrer 2004: 235).
 
24
Die Liaison-Gruppe ist eine Arbeitsgruppe innerhalb des Internationalen Rates, die 2007 installiert wurde und zum Ziel hatte, speziell die Machtposition der brasilianischen Gruppierungen (und damit natürlich des „inneren Kreises“) zu schwächen. Auf formaler Ebene sollte die Liaison-Gruppe zur verbesserten Kommunikation zwischen den Mitgliedern und den einzelnen Kommissionen bzw. Arbeitsgruppen des Rats beitragen.
 
25
Schon 2001 installierte das brasilianische Organisationskomitee zur Koordinierung und Unterstützung des Forumsprozesses ein eigenes Sekretariat mit Mitarbeiterstab. Seit 2002 wurde der Terminus „Sekretariat“ hauptsächlich für den neu geschaffenen Internationalen Rat verwendet; was zur Folge hatte, dass das vormalige Sekretariat nunmehr als Büro bezeichnet wurde. Da „in der Praxis […] [aber auch] die Begriffe ‚Organisationskomitee‘ und ‚Sekretariat‘ synonym benutzt worden [sind]“ (Teivainen 2004: 178), ist in der Literatur nicht immer klar ersichtlich, um welche Institution es sich im jeweiligen Fall nun eigentlich handelt (siehe auch Whitaker 2007: 138).
 
26
Das BABELS-Netzwerk ist ursprünglich aus den Vorbereitungen zum Europäischen Sozialforum 2002 in Florenz hervorgegangen (vgl. Maeckelbergh 2009: 67 oder auch BABELS 2003) und verfolgte auch schon damals das Ziel, insbesondere kleineren, finanzschwachen Organisationen eine professionelle Übersetzung ihrer Veranstaltungen zu ermöglichen.
 
27
Den Bekundungen der Veranstalter*innen zufolge sollte es bei den in Saint-Ouen durchgeführten Veranstaltungen lediglich um ein Zusatzangebot zum regulären Forum handeln – speziell mit dem Ziel, die Gruppe der so genannten „sans papiers“ in den Forumsprozess zu integrieren. De facto entstand im Pariser Norden, was der Titel („forum social libertaire“) bereits vermuten lässt, allerdings ein alternatives Gegenevent.
 
28
Bei den Youth Camps handelte es sich um meist größere Zeltlager junger Aktivist*innen am Rande des offiziellen Forumsgeländes. Diese relativ autonomen und horizontal organisierten Campstrukturen waren ebenfalls bei den Weltsozialforen 2003, 2004, 2005 und 2009 oder beim thematischen Sozialforum in Porto Alegre 2014 zu finden. Das Konzept der Youth Camps basiert, nach Smith et al., auf Selbstverwaltung, „directly forms of organization, and an increased presence of alternative media and ecologically friendly construction techniques“ (Smith et al. 2008: 97). In Porto Alegre wurde das Youth Camp 2002 nach Carlo Giuliani benannt, der im Jahr zuvor im Rahmen der G8-Proteste von Genua von einem Carabinieri erschossen worden war.
 
29
Die linke Gruppe FelS führte bezüglich des ersten Europäischen Sozialforums in Florenz ähnliche Kritikpunkte an: „Die ‚Arroganz der Mächtigen‘ war innerhalb des ESF [Europäisches Sozialforum] durchaus spürbar: Wer bekam wo die Räume, welche Veranstaltungen wurden bevorzugt behandelt und beworben, wer konnte wo sprechen – über diese technischen, nur halb sichtbaren Strukturen formiert sich die Macht innerhalb der Bewegung und ist niemandem zur Rechenschaft verpflichtet“ (FelS 2002: 15).
 
30
Zweifellos sind hiervon auch andere Weltsozialforen betroffen. Zu erwähnen seien an dieser Stelle z. B. die Foren in Caracas (polyzentrisches Weltsozialforum, finanzielle Unterstützung durch die Chávez-Regierung) oder Mumbai (erhebliche Einflussnahme durch kommunistische Parteien; vgl. hierzu speziell Sen 2004b: 393 f. und 403 f.). Bezüglich des letzteren Forums stellte die Aktivistin Jai Sen ernüchternd fest: „Als Ganzes gesehen ist es diese Erfahrung [Bezug genommen wird hier auf die Dominanz und das Sektierertum bestimmter Gruppierungen, allen voran der KPI(M); Anm. B. A.], die dazu geführt hat, dass das WSF [Weltsozialforum] in Indien weitgehend – das heißt, in den begrenzten Zirkeln, die von ihm wussten – als ‚gekapert‘ angesehen wurde“ (Sen 2004b: 395).
 
31
Beim Sozialforum in London war die Missachtung der Charta der Prinzipien offenkundig. So hatten die Organisator*innen bspw. im Vorfeld des Forums eine Spende über 400.000 Pfund vom Londoner Bürgermeister Ken Livingston (Labour Party) erhalten (vgl. Glasius/Timms 2006: 231).
 
32
Außerdem war neben Petrobras auch die dem US-Außenministerium nahestehende „United States Agency for International Development“ (USAID) mit einem eigenen Stand auf dem Forumsgelände 2013 präsent (vgl. z. B. Schmid 2013).
 
33
Katrin Buhl und Mariana Tamari stellten sich in ihrem Resümee des Weltsozialforums in Belém später die Frage: „Wie autonom und wie glaubwürdig ist ein Forum, das sich just von denjenigen Akteuren finanzieren lässt, die maßgeblich an Klimaveränderungen, an Umweltproblemen, an der Zerstörung des Amazonas, an der Verletzung der Rechte indigener Völker beteiligt sind?“ (Buhl/Tamari 2009: 2)
 
34
Mit Blick auf das Weltsozialforum 2013 in Tunis sei zusätzlich angemerkt, dass auf dem Veranstaltungsgelände der El-Manar-Universität auch radikalislamische Gruppen mit Ständen vertreten waren, „an denen Fotos von Assad, Saddam Hussein, Hisbollah-Führern oder beschmierte Israel-Fahnen“ (Jakob 2013) zur Schau gestellt wurden.
 
35
Und auch von vielen Pressevertreter*innen wurde die Teilnahme von hochrangigen Politikern als Aufwertung des Forums gewertet. Einem Beitrag der „Deutschen Welle“ war bspw. zu entnehmen: „Ein kleiner Hauch von Davos wird am Donnerstag (29.01.2009) auf dem Forum zu spüren sein: Hochkarätige Gäste haben sich angesagt – unter anderem die Staatschefs von Venezuela, Brasilien, Bolivien, Ecuador und Paraguay“ (DW 2009).
 
36
Ein weiteres Beispiel ist in diesem Kontext das Weltsozialforum in Dakar. Dort nahm die senegalesische Regierung nur wenige Monate vor Veranstaltungsbeginn ihre zuvor getroffenen Zusagen zurück und kürzte ihre finanzielle Unterstützung um drei Viertel (vgl. Wallerstein 2011).
 
37
Ein weiterer Grund für den Rückzug von BABELS waren Unstimmigkeiten bezüglich der offiziellen „Konferenzsprachen“. Das Organisationskomitee hatte sich nämlich dafür entschieden, die Veranstaltungen des Forums lediglich auf Französisch, Spanisch und Englisch abzuhalten und die so genannten First Nations (Premières nations) unberücksichtigt zu lassen (vgl. Müller 2016).
 
38
In Mumbai verzichteten die Veranstalter*innen aus ideologischen Gründen auf die Beteiligung bestimmter Finanziers (wie z. B. der Ford Foundation); mit der Folge, dass enorme Schulden angehäuft wurden und andere, weniger finanzkräftige Organisationen letztlich die Schuldenlast zu tragen hatten (vgl. Schade 2004: 220). Und auch in Porto Alegre kürzte die Provinzregierung im Vorfeld des dritten Weltsozialforums 2003 die Zuschüsse, so dass das Organisationskomitee nur noch drei Viertel des eingeplanten Budgets zur Verfügung hatte. Mit Spenden der britischen Hilfs- und Entwicklungsorganisation Oxfam und der US-amerikanischen Ford Foundation konnte diese Finanzierungslücke dann zum Teil geschlossen werden (vgl. Staud 2003b).
 
39
Der Internationale Rat bzw. das Weltsozialforum als Institution verfügt durchaus über begrenzte finanzielle Ressourcen, das jeweilige Organisationskomitee und den Sozialforumsprozess aktiv zu unterstützen. So wurde etwa 2004 die Einrichtung eines Solidaritätsfonds beschlossen, um speziell Vertreter*innen aus dem globalen Süden die Teilnahme am Weltsozialforum zu ermöglichen (bspw. durch die Erstattung von Reise-, Unterkunfts- oder Visakosten). Jene Gelder, die „für […] allgemeine[.], nicht eventgebundene[.] Aufgaben [bestimmt sind, werden] von einer brasilianischen NGO (bis 2007 ABONG, danach IBASE) [verwaltet]. Diese NGO gibt einen Teil des Geldes an CUT, den brasilianischen Gewerkschaftsdachverband, weiter, der dann die Arbeitsverträge mit den Büromitarbeitern/-innen abschließt und die Mieten für die Büroräumlichkeiten [des Sekretariats in São Paulo; Anm. B. A.] zahlt“ (Schröder 2015: 215). Um einen näheren Einblick in die Finanzstruktur des Weltsozialforums zu erlangen, lohnt sich ebenfalls ein Blick auf die „Darstellung der Geldflüsse im WSF [Weltsozialforum]“, welche 2015 von Christian Schröder erstellt wurde (vgl. ebd.: 216).
 
40
Insgesamt waren hieran 19 prominente Intellektuelle der globalisierungskritischen Bewegung beteiligt (siehe Ramonet et al. 2005); in der Literatur ist daher manchmal von einer „G19 Declaration“ (siehe Smith et al. 2008: 91) die Rede. Zu den Unterzeichner*innen des Manifests gehörten: Walden Bello, Immanuel Wallerstein, Boaventura de Sousa Santos, Adolfo Pérez Esquivel, Tariq Ali, Atilio Borón, Emir Sader, Aminata Traoré, Eduardo Galeano, Frei Betto, Samuel Luis Garcia, José Saramago, Bernard Cassen, Ricardo Petrella, Francois Houtart, Ignacio Ramonet, Samir Amin, Roberto Sávio und Armand Matellart.
 
41
Derartige Abschlussdokumente oder Absichtserklärungen hatte es in der Vergangenheit keinesfalls nur in Porto Alegre gegeben hat: siehe bspw. den „Appell von Bamako“ 2006 oder die „Erklärung der sozialen Bewegungen“ in Dakar 2011.
 
42
Das „Schweizer Radio und Fernsehen“ (SRF) betitelte bspw. einen Audiobeitrag zum Weltsozialforum in Dakar wie folgt: „Auftakt zum Weltsozialforum in Dakar. Boliviens Präsident Evo Morales hat in Dakar das 8. Weltsozialforum eröffnet […].“ (SRF 2011).
 
43
Kritik an der Charta und dem Ausschluss bewaffneter Gruppen bzw. der „Teilnehmerpolitik des WSF“ (Stanicic 2002: 43) kam in Deutschland bspw. von Mitgliedern der trotzkistischen „Sozialistischen Alternative“. In einem Kommentar zum zweiten Weltsozialforum in Porto Alegre äußerte sich Sascha Stanicic u. a. wie folgt: „Fidel Castro, Hugo Chavéz [sic!], baskische Befreiungsorganisationen und der kolumbianischen FARC [wurde] die Teilnahme verweigert. Begründung: Staatsmänner und bewaffnete Organisationen können nicht teilnehmen. Doch mit Mitgliedern der französischen Regierung war offensichtlich eine bewaffnete Organisation anwesend, nämlich der französische Staat“ (ebd.).
 
44
Die Naxaliten sind eine maoistisch geprägte Guerilla-Bewegung in Indien, deren Ursprünge bis in die 1960er Jahren zurückreicht.
 
45
Als offizieller Veranstalter fungierte damals die trotzkistische „Unidad Internacional de los Trabajadores – Cuarta Internacional“.
 
46
TerraViva war eine Zeitung, die im Rahmen mehrerer Weltsozialforen von Inter Press Service herausgegeben wurde (bspw. in Porto Alegre 2005 oder Dakar 2011).
 
47
Hinsichtlich der Zusammensetzung des Weltsozialforums im darauffolgenden Jahr stellte Michael Albert fest: „Obwohl das WSF 3 [gemeint ist das Weltsozialforum 2003 in Porto Alegre; Anm. B. A.] tatsächlich ungefähr 100000 Leute anzog, waren davon aber vielleicht 70000 aus Brasilien und weitere 15000 aus Nachbarländern in Südamerika. Man kann also mit einiger Berechtigung sagen, dass dies ein wichtiges südamerikanisches [Hervorhebung im Original] Forum war, zu dem 10000 bis 15000 Menschen aus der ganzen Welt eingeladen waren, um als RednerInnen oder Gäste teilzunehmen – und nicht unbedingt von einem Weltforum“ (Albert 2003, zit. 2004: 436).
 
48
Hiervon leicht abweichende Zahlen sind von Candido Grzybowski in Umlauf gebracht worden: „In the whole they made up 133,000, coming from 142 countries, although Brazil was by far the most represented. Being the Amazon basin the ninth WSF’s [World Social Forum] main issue, the Forum was attended by 1,900 indigenous people of 190 ethnic groups and tribes, plus 1,400 ‚quilombolas‘ (descendants of runaway slaves). Participant organizations summed up 5,808, of which 4,193 from South America, 489 from Africa, 491 from Europe, 334 from Central America, 155 from North America and 27 from Australia and New Zealand“ (zit. n. Kirk 2009).
 
49
Anzumerken sei, dass natürlich stets auch die geographische Lage des Austragungsortes eine nicht unerhebliche Rolle bezüglich der Zusammensetzung der Forumsteilnehmer*innen spielt.
 
50
Des Öfteren wird sogar eine formale Unterscheidung zwischen Vertreter*innen von Organisationen (so genannte „Delegierte“) und „Beobachter*innen“ bzw. „Zuhörer*innen“ vorgenommen. In Porto Alegre hatte letzte Gruppe „zum Beispiel nicht das Anrecht auf Übersetzungskopfhörer oder das Recht auf Zugang zu allen Veranstaltungen“ (Sen 2004a: 294).
 
51
Ein häufig auftretendes Problem ist in diesem Zusammenhang die Akustik, da nicht selten Workshops und Seminare auf dem Weltsozialforum unter freiem Himmel, in provisorischen Zelten oder in relativ kleinen Räumlichkeiten durchgeführt werden müssen (siehe hierzu bspw. die Abbildung 4.4).
 
52
Vergleichbare Szenarien waren in Porto Alegre 2005, Mumbai 2004, Belém 2009 oder Montreal 2016 zu beobachten. In Porto Alegre wurden die Veranstaltungen mehrheitlich in spanischer oder portugiesischer Sprache abgehalten und fokussierten sich auf lateinamerikanische bzw. brasilianische Themenfelder. Teilnehmer*innen aus Asien und Afrika waren auf dem Forum kaum präsent (vgl. Brand 2005b: 87). In Belém, so resümieren Katrin Buhl und Mariana Tamari, „gab [es] kaum Übersetzungsangebote. Die Zusammenarbeit mit dem Freiwilligennetzwerk Babel [sic!] kam wegen interner Differenzen zwischen den Organisatoren des Forums nicht zustande […] [und] eine professionelle Übersetzung ist für die meisten Organisationen nicht bezahlbar“ (Buhl/Tamari 2009: 1). In Mumbai konnten vor allem viele indische Aktivisten nicht oder nur eingeschränkt an den Forumsdebatten teilnehmen, weil sie weder Englisch noch Hindi beherrschten und andere Sprachen zumeist nicht angeboten wurden (vgl. z. B. Albert 2004: 457). Beim Weltsozialforum in Montreal fanden zahlreiche Veranstaltungen lediglich auf Französisch statt, da das alternative Dolmetschernetzwerk BABELS sich zuvor aus dem Forumsprozess zurückgezogen hatte (vgl. Müller 2016).
 
53
Das ursprüngliche Programmheft des Weltsozialforums in Dakar erschien auf Französisch, Portugiesisch und Englisch. Doch aufgrund zahlreicher formaler Probleme und Ungereimtheiten (bspw. Druckfehler, Raumänderungen oder nicht erfasste Veranstaltungsnachmeldungen) wurden ergänzende Tagesprogramme in Umlauf gebracht, die allerdings nicht übersetzt wurden, sowie einzelne Veranstaltungen vermehrt mittels öffentlicher Aushänge angekündigt (siehe Abbildung 4.3).
 
54
Diesbezüglich lohnt sich auch ein Vergleich mit dem darauffolgenden Weltsozialforum in Montreal. Dort waren die Veranstaltungshinweise im Programm nämlich überwiegend auf Französisch erschienen und generell nicht in andere Sprachen übersetzt worden (siehe WSF 2016).
 
55
An dieser Stelle drängte sich natürlich die Frage auf, warum die Wahl nicht auf Chinesisch, Russisch, Arabisch oder Suaheli fiel, wie Elmar Altvater damals treffend anmerkte (vgl. Altvater 2005b).
 
56
Die Registrierungsgebühr betrug 500 kenianische Schilling, was damals ca. 7 US-Dollar bzw. 5,50 Euro entsprach (der monatliche Durchschnittslohn in Kenia lag bei 2000 Schilling). Teilnehmer*innen aus dem globalen Norden mussten umgerechnet 80 Euro entrichten. Im Gegensatz zu Nairobi versuchte das Organisationskomitee in Tunis (2013) die Teilnahmegebühr möglichst gering zu halten, um somit auch ärmeren Bevölkerungsschichten die Chance zu ermöglichen, an den Veranstaltungen teilzunehmen. Der Eintrittspreis für Schüler*innen, Erwerbslose und Rentner*innen lag bei einem Dinar (nach damaligem Umrechnungskurs etwa 0,5 Euro); Erwerbstätige hatten fünf Dinar zu zahlen (vgl. Ling 2013).
 
57
Außerdem wurde moniert, dass der kuwaitische Mobilfunkanbieter Celtel gewissermaßen ein Monopol auf den Verkauf von Sim-Karten auf dem Gelände erhalten hatte und als einer der Hauptsponsoren des Forums in Erscheinung trat.
 
58
François Houtart, Mitglied des Internationalen Rates, formulierte einige Jahre später sogar die Befürchtung, dass sich auf dem Forum durch die permanente Ausgrenzung der ärmeren Bevölkerungsschichten längerfristig eine „‚Mentalität der Mittelklasse‘ durchsetzen könne“ (zit. n. Völpel/Brock 2009).
 
59
In ähnlicher Weise äußerte sich Chico Whitaker 2013 gegenüber der Zürcher Wochenzeitung anlässlich des Weltsozialforums in Tunis: „Bei uns gibt es kein Komitee, das bestimmt […]. Wir haben keine speziell eingeladenen Sprecher, sogenannte ‚keynote speakers‘. Wer kommen will, soll kommen, soll sprechen, soll sich organisieren“ (zit. n. Spahr 2013). Und an anderer Stelle führte Whitaker aus: „Decision-making by consensus demands communication on an equal footing without authoritarian arguments. In the meetings organised within the process of the World Social Forum nobody may be important than others. Therefore, the WSF [World Social Forum] does not provide chairpersons or speakers. In the same way, there cannot be activities superior to others: these activities are proposed by the participants themselves and there is no hierarchy in the programme of the meeting” (Whitaker 2010: 46). Und neben Whitaker merkte auch Boaventura de Sousa Santos einige Jahre zuvor bezüglich der Forumsarchitektur an: „[…] [D]as WSF [Weltsozialforum] [ist] nach keinem der Modelle moderner politischer Organisationen strukturiert […]: sei es demokratischer Zentralismus, repräsentative Demokratie oder partizipative Demokratie. Niemand repräsentiert es, darf in seinem Namen sprechen oder gar Entscheidungen fällen“ (De Sousa Santos 2006: 136).
 
60
Bereits unter dem Eindruck des dritten Weltsozialforums in Porto Alegre stellte Jeanette Schade fest: „Es steigt der Bedarf an der Konkretisierung gemeinsamer Forderungen und Strategien, an der Schärfung des Profils und folglich auch an internen Diskussionsräumen“ (Schade 2003: 388).
 
61
Erinnert sei an dieser Stelle nochmals daran, dass in der Hochphase der globalisierungskritischen Bewegung auf Initiative des Europäischen Sozialforums in Florenz und des Weltsozialforums in Porto Alegre eine der bis dato größten Mobilisierungen für den Frieden erreicht wurde: Weltweit demonstrierten im Februar 2003 ca. 10 bis 15 Millionen Menschen gegen den drohenden Irakkrieg.
 
62
Die diesbezügliche Anlage mit der tabellarischen Übersicht der in den Jahren von 2001 bis 2021 durchgeführten Weltsozialforen ist im elektronischen Zusatzmaterial einsehbar.
 
Metadaten
Titel
Fallbeispiel: Weltsozialforum
verfasst von
Björn Allmendinger
Copyright-Jahr
2024
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-44296-5_4