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23.11.2023 | Automobilelektronik + Software | Gastbeitrag | Online-Artikel

Automotive Systems Engineering bringt das SDV auf die Straße

verfasst von: Dominik Strube

4 Min. Lesedauer

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Software bestimmt das vernetzte Fahrzeug – und damit auch die Systemintegration. Mit Automotive Systems Engineering versuchen Fahrzeughersteller, diese Herausforderung zu beherrschen. 

Die etablierten OEMs stehen beim softwaredefiniertes Fahrzeug (SDV) vor einer unerwarteten Herausforderung: der Systemintegration. Tatsächlich? Gehört diese nicht schon seit langem zur Kernkompetenz eines Autoherstellers? Ja, aber: Mit dem Trend zu integrierten zentralen Architekturen der Steuergeräte müssen alle Beteiligten neu lernen, wie sie alle Disziplinen systematisch zu einem mechatronischen System zusammenfügen können. "Früher haben die OEMs in einem Mittelklassewagen Hunderte mehr oder weniger isolierte Steuergeräte verbaut. Das wird in Zukunft anders", erläutert Christian Hübscher, Principal Consultant bei UL Solutions. "Jetzt wird die Beherrschung der Schnittstelle zwischen Software und Software sowie zwischen Software und allen Disziplinen zur Pflicht. Nur so können die Hersteller die zahlreichen Mikrodienste in einer serverartigen Softwarearchitektur zu einem Gesamtsystem integrieren."

Über den gesamten Lebenszyklus hinweg

Durch die Komplexität des vernetzten Fahrzeugs braucht es eine Methodik, die das enge Zusammenwirken von Mechanik, Elektrik/Elektronik, Regelungstechnik und Softwaretechnik unterstützt. Erst so wird ein umfassendes Systemverständnis ermöglicht. "Diese Methode darf allerdings nicht nur die Projektphase adressieren, sondern muss auch die Betriebsphase abdecken", betont Dr. Daniel Brenk, Principal Consultant bei UL Solutions: "Denn das softwarebestimmte Fahrzeug muss permanent weiterentwickelt und aktualisiert werden mit entsprechenden Herausforderungen für die Sicherheit des Fahrzeugs." 

Hier kommt Automotive Systems Engineering (ASE) ins Spiel. ASE koordiniert die F&E-Prozesse und hilft dabei, die Komplexität des mechatronischen Systems zu beherrschen – damit die Leistungen aller beteiligten Disziplinen ins Gesamtsystem integriert werden können, dem Fahrzeug.

Wie das traditionelle Systems Engineering verbindet ASE also

  • die Produktperspektive mit einem strukturierten Vorgehen und
  • die Arbeitsabläufe mit zielführenden Methoden, 
  • Aspekte zur Produktsicherheit, funktionaler Sicherheit und Cybersecurity,
  • und die Mitarbeiter über Projekt-, Kapazitäts-, und Projektmanagement.

In Verbindung mit einem Automotive Process Framework kann ASE den gesamten Lebens- und Nutzungszyklus unterstützen. Dazu werden diverse Standards zu Safety und Security berücksichtigt. Auf diese Weise können im Fahrzeug im Betrieb erwünschte Feature-Updates aufgespielt oder Komfortfunktionen freigeschaltet werden. 

Frühzeitige Fehlervermeidung

Bei ASE handelt es sich um einen Problemlösungsprozess. Dieser soll helfen, die Entwicklung komplexer Systeme bewusst und transparent zu strukturieren. Entsprechend des Use Cases müssen die Fahrzeughersteller das Vorgehen an ihre Bedürfnisse anpassen, etwa, indem sie normative Anforderungen wie Cybersicherheit (ISO/SAE 21434 und UNECE R155/156), Funktionssicherheit (ISO 26262) oder Branchenstandards wie Automotive SPICE einbeziehen. 

ASE konzentriert sich im Engineering auf:

  • Systemanalyse,
  • Anforderungsermittlung und -management,
  • Systemarchitekturgestaltung,
  • Systemsimulation und -entwicklung, 
  • Absicherung und Testphase.

Bei ASE handelt es sich um ein Verfahren, dass Aufgaben vom Großen ins Kleine herunterbricht: Downstream-Engineering stellt die Durchgängigkeit und Konsistenz bis hin zu den einzelnen Teilen sicher. Der Schwerpunkt liegt dabei klar in der Frühphase eines Projekts, in der Analyse und Anforderungsermittlung. Es geht darum, das Projekt von Anfang an richtig aufzusetzen. Im Automotive-Umfeld unterstützt diese Herangehensweise die Anforderungen von Cybersicherheit und digitalen Mehrwertdiensten. Denn um später mit geringem Aufwand Patches und Feature-Updates aufspielen zu können, müssen in der Konzeptionsphase Anforderungen an die Systemarchitektur gestellt werden. ASE hilft also dabei, frühzeitig Fehler zu vermeiden, deren spätere Beseitigung teu(r)er wäre. 

Durch diese Kombination von Analysen und Anforderungsermittlung entsteht die Basis für ein umfassendes Systemverständnis. ASE lebt von Konsistenz, von der Konzeption bis in die Betriebsphase. "Dieses Systemdenken ist ausschlaggebend, um mit interdisziplinären Teams neue Fahrzeugarchitekturen entwickeln und integrieren zu können", weiß Christian Huebscher. 

Volle Transparenz

Über alle Phasen des Produktlebens- und Nutzungszyklus einer Fahrzeugbaureihe hinweg sorgt ASE für Transparenz. Alle am Projekt beteiligten Stakeholder, Engineering-Disziplinen (Software, Hardware, Mechanik) sowie Sub-Systeme verfügen dadurch über stets aktuelle und konsistente Informationen. Möglich wird diese konsequente Integration der Produkt- und Projektsicht durch die Steuerung der Informationen über ein Systemmodell. Damit werden alle wesentlichen Informationen kommuniziert, auch funktionale und nicht-funktionale Anforderungen. Letztere sind insbesondere für die Funktions- und Cybersicherheit relevant. Beim Model-Based Systems Engineering (MBSE) steht das Systemmodell sogar im Mittelpunkt der Entwicklung. MBSE virtualisiert den Entstehungsprozess als Grundlage zur Verständigung von Projektteams, der verschiedenen Fachdisziplinen und dem Management. 

Aus Automotive-Sicht macht die Modellierung doppelt Sinn: Durch Funktions- und Cybersicherheit müssen immer mehr nicht-funktionale Anforderungen auf die Architektur allokiert werden. Ein Modell kann die Dokumentation für einen Safety- und Security-by-design-Ansatz unterstützen. Ein wichtiger Nebenaspekt: Per Modell kann der Produktentstehunsprozess nicht nur gesteuert, sondern auch automatisch dokumentiert werden. "Im Haftungsfall können die Projektleiter so nachweisen, dass alles Nötige getan wurde, um Risiken zu minimieren", betont Systems-Engineering Experte Dr. Brenk.

Fazit

Mit Automotive Systems Engineering lassen sich alle Aktivitäten über ihren Produktlebenszyklus hinweg integrieren. Wichtig ist allerdings, dass auch Aspekte abgedeckt werden, die im klassischen Systems Engineering nicht immer adressiert werden: die für das vernetzte Fahrzeug essenzielle Marktphase, wenn die Flotte Cyberrisiken ausgesetzt ist und digitale Dienste den Herstellern einen konstanten Cash-Flow sichern sollen. 

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